Dienstag, 10. Dezember 2013

Katherine Webb - Das verborgene Lied

Zach Gilchrist ist Mitte dreißig und steht gerade in den Bruchstücken seines Lebens. Seine Exfrau wird mit der gemeinsamen Tochter in die USA ziehen, seine Galerie läuft in etwa so gut wie eine Saunalandschaft mitten in der Wüste Gobi - und dann sitzt ihm auch noch sein Verleger im Nacken, dem Zach seit einem Jahr ein Buch über den Maler Charles Aubrey verspricht. Dieser hat in den Dreißigern für Furore gesorgt - sowohl in der Kunst- als auch in der Damenwelt, denn trotz seiner zwei reizenden Töchter und der Dauergeliebten Céleste war er ein notorischer Fremdgänger, bis er nach einem Schicksalsschlag 1939 freiwillig in den Krieg zog und dort ein Jahr später starb. Zach macht sich auf nach Dorset, wo Aubrey mit seiner Familie seine letzten drei Lebensjahre verbacht hat, und hofft, dort irgendein neues Detail im Leben seines Lieblingsmalers zu finden, das die Biografie verkaufen kann. Dort trifft er in einem kleinen Dorf auf Dimity Hatcher. Diese war 1939 nicht nur die beste Freundin von Delphine Aubrey, der älteren Tochter, sondern auch eine von Charles Musen, die er in verschiedenen Skizzen und Gemälden festgehalten hat. Die alte Frau wohnt völlig abgeschieden in einem verfallenen Cottage und schon bald ist Zach überzeugt: hier verbirgt sich ein Geheimnis ...

Ich habe das Buch wirklich innerhalb eines Tages ausgelesen, denn es ist extrem nett geschrieben und führt den Leser sehr schnell in die Handlungsebenen ein. Die Geschichte wird parallel 1938/39 und 2012 erzählt, wobei ich die Überleitungen nicht immer geglückt finde, es also nicht immer einen Anlass zu geben scheint, genau jetzt in die Vergangenheit zu springen. Die Story hat sehr viel Tempo und natürlich will man wissen, was sich hinter den Andeutungen verbirgt - wie gesagt, ich hab das Buch wirklich verschlungen. Dennoch gibt es zwei Gründe, die mich nicht völlig vom Buch haben überzeugen können. Zum einen: einen deutlichen Abzug bekommt Katherine Webb für die Figurenzeichnung, denn außer Dimity und in Ansätzen Zach bleiben die Figuren extrem blass und für mich in ihren Handlungen nicht immer nachvollziehbar. Dimity selbst ist, vor allem in jungen Jahren, sehr gut gelungen, die vierzehnjährige Außenseiterin des Dorfes mit einer Mutter, die sich aus purer Not heraus prostituiert. Als alte Frau ist sie ein wenig zu blass, ein wenig zu abgedreht ohne dass man genau nachvollziehen kann, warum sie so wunderlich geworden ist. Delphine dagegen war für mich die gesamte Zeit über ein völlig gesichtsloses Persönchen, auch Charles Aubrey ist nicht in allen Aspekten nachzuvollziehen (z.B. fand ich die Entwicklung am Ende sehr überzogen). Und damit sind wir bei Punkt zwei, der mir nicht gefallen hat. Ich finde das Ende an den Haaren herbeigezogen und zu sehr auf zufällige Offenbarungen gemacht. Die Idee ist nett, aber die Ausführung gefällt mir absolut nicht - das Problem hatte ich bei Katherine Webbs Erstling ja auch schon, und allmählich glaube ich, dass sie es einfach wirklich nicht schafft, ein Ende zu erfinden, dass nicht so übertrieben wirkt, sondern trotz allen Zufällen glaubwürdig bleibt. Da zieht sie die Schraube des "düsteres Familiengeheimnis"-Romans einfach einen Ticken zu fest an, was schade ist. Denn bis auf die letzten etwa fünfzig Seiten ist das Buch nämlich wirklich toll.

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