Freitag, 24. August 2012

Viva Italia


Eine Woche Urlaub, eine Woche nur Lesen, Sonne und mit meiner Nichte spielen - was freu ich mich schon. Die Toskana ruft und ich muss ihr Folge leisten ;-)

Freitag, 17. August 2012

Ken Follett - Die Säulen der Erde

Grechtenfrage: Was macht ein Autor, wenn er feststellt, den Höhepunkt seiner Handlung schon nach der Hälfte des Buches erreicht zu haben? Ja, Mr.Follett?
Richtig: er fängt nochmal von vorne an.

Ich mag historische Romane ja wirklich. Aber ich habe mich selten durch ein Buch so durchkämpfen müssen wie bei diesem hier. Das liegt einfach daran, dass der Inhalt des Buchs sich effektiv in vier Sätzen zusammenfassen lässt. "Philip, ein junger Prior, will 1123 eine Kathedrale zu Ehren Gottes errichten lassen. Er heuert den Baumeister Tom Builder an. Der baut eine Kathedrale, die zusammenbricht. Und deshalb bauen sie noch eine." Gut, dazwischen wird noch ein bisshen vergewaltigt, gebrandschatzt, marodiert und geheiratet, aber das alles einfach so ... oberflächlich. Ich habe aus dem Buch kein einziges historisches Detail behalten, bei meinem Elefantengedächtnis will das was heißen. Stattdessen war ich immer mehr genervt von Folletts Schreibweise - was mich dazu gebacht hat, das Buch zu Ende zu lesen? Ich wollte es von der Liste der 100 Büßcher streichen. Kein ehrenwertes Motiv, wenn ihr mich fragt.

Stephen King - Der Anschlag

Was würdest du tun, wenn du die Möglichkeit hättest, das nationale Traume Amerikas zu verhindern? Dem High-School-Lehrer Jake Epping stellt sein Freund Al genau diese Frage. Denn Al hat eine Möglichkeit gefunden, in der Zeit zu reisen - dummerweise immer nur bis zu exakt einem bestimmten Tag im Jahr 1958. Viel zu spät, um Lincoln zu retten; viel zu früh, den 11.September zu verhindern. Aber 1963 - das liegt nahe an 1958. Warum nicht ein paar wenige Jahre warten und dann das tun, wovon vielleicht jeder Amerikaner heimlich träumt? Nach Dallas reisen und Lee Harvey Oswald erledigen, bevor er die Schüsse auf Kennedy abgeben kann. Jake wagt es - und steht schon bald vor einer interessanteren Frage: was, wenn sich die Vergangenheit gar nicht ändern lassen will?

"Der Anschlag" ist der bisland unblutigste King-Roman, den ich je gelesen habe. Okay, natürlich wird auch hier mal geschossen, aber insgesamt zieht das Buch seinen Horro vor allem aus dem, was so nebenbei passiert. Aus den kleinen Seltsamkeiten des Alltags. Aus der Frage, wie du es als Mensch des Jahres 2011 vermeiden können solltest, 1958 als Zeitreisender aufzufallen. Aus den kleine Details, die doch beim letzten Mal 1958 ganz anders waren - oder doch nicht? Das Buch entwickelt von Anfang an einen ungeheuren Sog, nicht nur aufgrund der Geschichte (die, das muss man sagen, gelegentlich sehr ins Detail abgleitet, um überhaupt ins Jahr 1963 zu führen), sondern aufgrund der Detailfülle des King-Kosmos. Denn natürlich ist Derry nicht weit und Derry 1958 - war da nicht was? So gibt es ein Wiedersehen mit der Schildkröte und Grüchte von kindermordenden Clowns, man stolpert über Shawshank und fragt sich oftmals, was einen als nächstes erwartet. Ein ausnehmed gutes Buch über Zeitreisen, ein dichter Thriller über den Mord an Kennedy, und eine gut recherchierte Zeitstudie - das ist ja schlimmer als ein Überraschungsei ;-)

Jeffrey Eugenides . Middlesex


Calliope, von Freunden und Familie Callie genannt, ist ein klein wenig anders als andere. Dank einer genetischen Mutation ist sie ein Hermaphrodit, sie verfügt über männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale. Das stellt sich für ihre Familie jedoch erst in der Pubertät heraus – der Leser weiß es von Anfang an. Verfolgt er doch in „Middlesex“ die Spuren dieses Gens quer durch eine griechische Familie. Alles beginnt mit den Großeltern, die aus Griechenland in die USA auswandern und dort heiraten, obwohl sie eigentlich Geschwister sind …

Jeffrey Eugenides ist ein Erzähler, die in Worten badet. Er erzählt nicht einfach, sondern schwelgt in Satzkonstruktionen. Das ist gelegentlich beim Lesen sehr ermüdend, aber es hat mir bei diesem Buch absolut nichts ausgemacht. Denn die Familiengeschichte, in die er mich mitnimmt hat es einfach in sich. Sie ist erheiternd, skurril, faszinierend, seltsam, befremdlich, anrührend – und manchmal auch gleich alles davon auf einmal. Das Ganze wird verquickt mit philosophischen Grundfragen: Welche Macht haben unsere Gene und unsere Vorfahren über unser Schicksal? Ích könnte noch einige Seiten weiterschwärmen, aber ich gestehe: am meisten an dem Buch beeindruckt hat mich, wie er es schafft, Alkoholschmuggel und die Nation of Islam in ein Buch zu bringen und völlig logisch erscheinen zu lassen 

Truman Capote - Kaltblütig


Ihr ahnt es vielleicht schon, ich bin grade – mangels Lesezeit vor den Ferien – dabei, meine Rezensionen vor allem auf schon länger zurückliegende Bücher auszudehnen. Da die zum Teil aus meiner Leseliste von 2008 stammen, kann ich mich dabei eigentlich nur auf die Bücher berufen, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Und die sind entweder sehr, sehr, sehr gut oder sehr, sehr, sehr mies. Deshalb müsst ihr euch vermutlich in nächster Zeit an den dauergrinsenden Smilie im Buchbild gewöhnen ;-)
Truman Capote gilt als Begründer der True-Crime-Literatur und bis heute ist „Kaltblütig“ eines der Bücher, an denen sich dieses Genre messen lassen muss. Die Handlung ist schnell erzählt: eine Kleinstadt irgendwo in den Weizenfeldern von Kansas wird eines Tages aus ihrem ruhigen Leben gerissen, als die Leichen der Familie Clutter auf ihrer Farm gefunden werden. Vater, Mutter, Sohn und Tochter wurden bestialisch ermordet – und das alles wegen 40 Dollar und einem Radio. Denn mehr hat der Täter bei diesem Raubüberfall nicht erbeutet. Die Polizei tappt im Dunkeln und – diese Spekulation stammt von mir – ist vermutlich nicht allzu begeistert, als der exzentrische Schriftsteller Truman Capote auftaucht, der sich in den Kopf gesetzt hat, über diesen Fall einen Tatsachenroman zu schreiben. Erst nach fast einem Jahr werden die beiden Täter verhaftet, zwei junge Männer Anfang 20, die letztendlich hingerichtet werden.
Was mich an dem Buch so begeistert? Capote nimmt sich als Erzähler völlig zurück, auch wenn er recherchiert hat, da ist kein „Ich“ im Buch, das dem Leser etwas vorgibt. Stattdessen spielt Capote im wahrsten Sinne des Wortes Kamera, er nimmt den Leser mit auf seine Recherche und er bleibt bis zum Ende dabei. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Buch endet nicht wie ein krimi mit der Ergreifung der Täter, sondern geht weiter, behandelt die Zeit der Verhandlung, der Wiederaufnahme, des ungewissen „Wie geht’s jetzt weiter?“ vor der Hinrichtung, bis er am Ende selbst die Hinrichtung in allen Details schildert. Er rekonstruiert die Tat in aller Grausamkeit, er macht keinen Halt davor, selbst die toten Clutters im Sarg zu beschreiben – gemessen an seiner Entstehungszeit ist „Kaltblütig“ ein knallhartes Buch. Capotes Sprache fesselt und irgendwann versteht man als Leser auch, warum ihn dieses Werk nicht losgelassen hat, warum er danach so lange nichts mehr veröffentlichen konnte – weil er seine gesamte Energie, sein gesamtes Wesen darauf fixiert hatte, hinter die Frage aller Fragen zu kommen: warum wird ein Mensch zum Mörder?
Das Buch beantwortet diese Frage nicht einfach. Es liefert Ansätze, um zu verstehen. Es gibt keine Position vor und erwartet dennoch vom Leser, Stellung zu beziehen. Es ist leicht zu lesen und schwer zu verdauen – und deshalb ein brillantes Buch.

Gaiman vs. Marzi oder: Wer hat's erfunden?


Schon seit ewigen Zeiten wollte ich ein Buch lesen, über das ich per Zufall mal gestoplert war: "Niemalsland" von Neil Gaiman. Dank eines amazon-Gutscheins zum Geburtstag habe ich es mir endlich gegönnt und mich dann auch sofort ans Lesen gemacht - die Rezension wollte ich noch diese Woche schreiben, deshalb erstmal zum Buch: Richard ist ein Londoner Durchschnittsmensch, der ein so durchschnittliches Leben lebt, dass es schmerzt. Bis er eines Abends auf dem Weg zu einer Verabredung mit seiner Verlobten ein verletztes Mädchen auf der Straße findet und in einer Spontanaktion beschließt, sie mit in seine Wohnung zu nehmen. Kurze Zeit später tauchen in seiner Wohnung zwei sehr seltsame Gestalten auf, die auf der Suche nach dem Mädchen sind - doch sie ist mit einem Mal verschwunden. Und damit beginnt ein Abenteuer, dass Richard hineinführt in die Welt von Unter-London, einer archaischen Welt der Krieger und Zauberkräfte, in der die Londoner U-Bahn mehr ist als nur ein Trnasportmittel. Er muss dem Mädchen Door helfen, einen Schlüssel zu finden, wenn er selbst jemals wieder ein leben in Ober-London führen will.

Das Buch ist, anders kann ich es nicht sagen, genial. Gaiman schafft es mit unglaublich geringen Mitteln sofort Atmosphäre zu erzeugen und er kreiert einen Kosmos von so völlig simplen und dennoch überraschenden Tatsachen seiner Unterwelt (basierend auf den Namen der Londoner U-Bahn-Stationen gibt es am Earl's Court eben tatächlicch einen residierenden Earl, die Black Friars sind ganz reale Mönche, etc.) Was mir aber am meisten gefallen hat: er skizziert Figuren nur ganz kurz an und dennoch erwachen sie sofort zum Leben. Sei es das Mädchen Anaesthesia, das Richard nur kurz hilf,t aber sofort ein Bild vor meinen Augen wachruft, oder meine beiden Lieblinge im Buch, das Killer-Duo Crouch und Valdemar, die mit jedem ihrer Sätze, jeder ihrer Handlungen eine so unglaubliche Professionalität in ihrem Beruf vermitteln, dass ich noch nie grausamere, gruseligere und faszinierendere Killer erlebt habe. Nicht zu vergessen der Marquis, der Engel islington - ach eigentlich alle. Dieses Buch ist perfekt komponiert und ich habe selten etwas besseres gelesen im Fantasy-Bereich.


Dann war ich letzte Woche in der Stadtbibliothek. Und dort stolperte ich zufällig über ein Buch, das mir vor zig Jahren eine Mitbewohnerin im Studentenwohnheim ans Herz gelegte hatte: "Lycidas" von Christoph Marzi. Schon beim lesen des Klappentextes klingelte es da irgendwie vertraut - die uralte Metropole unter London ... Okay, schauen wir mal. Was ich dann lesen musste war ... wie sag ich es nur, ohne zu fluchen? Ich habe ehrlich noch nie ein Buch in Händen gehabt, dass so dermaßen offensichtlich abgekupfert war von einem anderen Werk. Entschuldigung, Herr Marzi, ihr Buch ist nicht "inspiriert von den Ideen Neil Gaimans", in "Lycidas" tauchen eins zu eins Figuren aus "Niemalsland" auf. Sie haben nur die Namen geändert. Und, leider Gottes, den Rest zusammengekupfert aus diversen anderen Quellen, der Bibel, Dickens, Milton, Dante - wenn schon, dann gleich bei den besten abschreiben, oder?

Kurze Inhaltszusammenfassung: Emily ist ein Waisenmädchen, das in einem Waisenhaus aufwächst,g egen das Dickens Waisenhaus in "oliver Twist" eine Sommerfrische darstellt. Irgendwann begegnet ihr eine Ratte, die sie verstehen kann, und ein Werwolf entführt ein Kind aus dem Waisenhaus. Emily begibt sich auf die Suche und erhält dafür einen mentor, den Alchemisten Wittgenstein, und Unterstützung von ihrer besten Freundin und einem Elfen. So weit, so gut. Was folgt, sind zusammngequirtle Versatzstücke aus diversen altbekannten Romanen und sonstigen Büchern. Und als Krönung des Ganzen wird uns die Geschichte in der wohl schwächsten aller Zeitformen präsentiert: dem Plusquamperfekt. Nein, ich korrigiere, nicht durchgängig. Das Plusquamperfekt - wie ich die Bezeichnung "vollendete Vorvergangenheit" mag! - tritt nur in den spannenden Stellen auf. Denn diese spannenden Stellen werden nicht etwa live von einem Erzähler präsentiert, sondern im Nachhinein von Wittgenstein erzählt. Das Ganze liest sich dann Kapitel für Kapitel immer mehr so, dass am Anfang des Kapitels alles schon passiert ist und Wittgenstein dann zurückgreift um zu erzählen, wie es dazu kam, dass man jetzt an den Anfang des Kapitels gelangt ist. Aua! Aber gut, ich will ja nicht so sein - wenn mir das Buch nicht auch ansonsten einfach körperliche Mängel ob seiner Sprache bescheren würde. Wittgenstein, der Gelehrte, ist selten zu mehr als Dreiwortsätzen in der Lage, wiederholt sich dauerhaft und dauerhaft und ist einfach der wohl unsympathischte und nervigste Erzähler, dem ich je begegnet bin.

Ganz ehrlich, ich hätte das Buch nicht zu Ende lesen sollen. Es tut mir Leid um die Lebenszeit, die dafür draufgegangen ist - dann leiber nochmal die Originale zu Gemüte führen bevor man "Lycidas" anfasst!

Mittwoch, 15. August 2012

Agatha Christie - Mord im Orient-Express

Eins vorneweg, ich lese sehr gerne klassische Whodunit-Krimis, bei denen ich miträtseln kann. Ich lese auch ganz gerne mal Agatha Christie, wobei mich an ihren Bücher eins stört: sie ist eine Meisterin darin, am Ende einen Täter aus dem hut zu zaubern, auf den man einfach deshalb nicht gekommen wäre, weil sie einem einfach Informationen vorenthält. Entweder spekuliert ihr Ermittler dann einfaach munter drauf los und stellt alles als ganz logisch dar, was für mich nicht nachvollziehbar ist, oder er zieht im wahrsten Sinne des Wortes ein Beweisstück aus dem Hut, von dem bisher nicht die Rede war. Deshalb bin ich auf sie immer ein bisschen schlecht zu sprechen, ich mag es nicht, mich ständig wie Dr.Watson fühlen zu müssen, ohne die Chance zu bekommen, mich zu verbessern. Aber nun gut, ich habe mir jetzt endlich den Christie-Klassiker schlechthin vorgenommen: "Mord im Orient-Express".

Ich muss zunächst sagen: bisher habe ich von dem Buch den Inhalt nur grob gekannt. Ich wusste, dass er zurückgeht auf den Fall des Lindbergh-Babys und dass Poirrot der Ermittler ist. Was ich nicht wusste: dieser Roman ist ein absolutes Sinnbild für einen Roman des konstruierten Motivs. Aber sowas von konstruiert. Je länger ich die unglaubliche Aufklärung des Falls gelesen habe, desto mehr habe ich mir gewünscht, das Buch möge schon vorbei sein, damit ich nicht noch mehr Schwachsinn präsentiert bekommen kann. Und dann ging es trotzdem noch weiter. Es ist schwer, etwas zum Buch zu schreiben, ohne ins Spilern zu verfallen, dehslab nur so viel: Ich hatte wirklich körperliche Schmerzen beim Verarbeiten dieser Auflösung und das will etwas heißen!

T.C.Boyle - Wassermusik

Zweimal machte er sich auf, die Quellen des Niger zu erforschen - Mungo Park, ein schottischer Forscher und Abenteurer. Dieses historische Ereignis nimmt T.C.Boyle zum Anlass, nicht nur Mungo Parks Geschichte zu erzzählen, sondern auch die von Allie Anderson, der Verlobten Parks, die im schottischen Hochland auf die Rückkehr ihres Zukünftigen wartet, und die Geschichte des Trunkenbolds und Gelegenheitsgauners Ned Rise.

Was mich an dem Buch fasziniert hat, das war diese Figur Mungo Park. Ein schottischer gentleman, der auf Entdeckungsfahrt geht - und ich hatte nicht nur einmal dieses Bild vor Augen von der Wiederentdeckung des verschollenen Livingston, bei dem sich zwei Briten im Busch gegenüberstehen und erstmal höflich-korrekt vorstellen - und eignetlich keine Ahnung hat, was um ihn herum geschieht. Der mit einer völlig naiv-überheblichen Sichtweise auf den edlen Wilden aufbricht und konfrontiert wird mit einem irritierenden, unbekannten Afrika. Parks wäre im Roman immer wieder verloren ohne Johnson, seinen treuen Begleiter, einen ehemaligen Sklaven. Und dennoch ist er der Meinung, in dieser Bezeihung den Ton angeben zu können. Allein für diese Perspektive lohnt sich der Roman mehr als alles andere.

David Sedaris - Ich ein Tag sprechen hübsch

Verdammt, ich würde so gerne einen objektiven blog betreiben, aber manchmal ist das schlicht nicht möglich. "Manchmal" beinhaltet für mich sämtliche Bücher auf meinen Regalbrettern, die ich niemals mehr eintauschen möchte. Zu ihnen gehört in jedem Fall auch David Sedaris, dessen absolut bestes Werk meiner bescheidenen Meinung nach den Titel "Ich ein Tag sprechen hübsch" trägt.

David Sedaris schreibt nahezu ausschließlich über David Sedaris. Das könnte langweilig werden, allerdings sorgt Familie Sedaris quasi seit ihrem Entstehen für Stoff, den sich niemals ausdenken könnte. Egal, ob Davids Schwester, die Schauspielerin Amy Sedaris, zum Familiendinner im Fat-Suit antanzt und Vater Sedaris an den Rand eines Herzinfarkts bringt, weil sie jetzt nie einen Mann finden wird; ob David alle Versuche seiner Logopädin, ihm das Lispeln abzutrainieren, dadurch torpediert, dass er einfach auf sämtliche Wörter mit einem s verzichtet; der jüngste Spross der Familie der einzige ist, der vor dem Vater ungestraft fluchen darf, weil der inzwischen alle Hoffnungen hat fahren lassen; oder David beim Ausleihen einer Leiter im Leiterbesitzer Hugh die Liebe seines Lebens findet und ihm zuliebe ohne jede Französischkenntnisse nach Paris auswandert - David Sedaris ist ein Meister der skurillen Situationskomik. Er erzählt in einem absolut beiläufigen Ton von großen Nöten und noch größeren Absonderlichkeiten (zum Beispiel seinem langen und schmachvollen Ausflug in die Konzeptkunst, weil dort Talent als unfairer Vorteil gilt), von Drogensucht und Familienirrsinn, von Liebe und Leben und sehr, sehr oft einfach nur von den krummen Wegen, die das Leben nehmen muss, um dann doch zum richtigen Ziel zu kommen. Auch wenn dieses Ziel vielleicht nur darin besteht, eines Tages die französische Sprache zu meistern.

Das alles ist in diesem Fall zum Teil hervorragend übersetzt worden von Harry Rowohlt. Der ist sowieso ein Meister darin, ein Buch so wirken zu lassen, als hätte es der Autor von vorneherein auf Deutsch geschrieben. Und so liest sich das Buch nicht nur einfach lockier-flockig und zum Lachen reizend, sondern vor allem auch sprachlich reizend. Ich habe das Buch vor Jahren zu Weihnachten gekauft und seitdem jedes weitere Sedaris-Buch, das mir unter die Finger kam, gelesen - aber mit diesem hat eine Liebe angefangen :-)

Sonntag, 5. August 2012

Jeanette Walls - Schloss aus Glas

Die kleine Jeanette liebt ihre Familie. Ihre Mutter, die Malerin ist und ihren Kindern zutraut, alles zu schaffen, was sie wollen. Ihren Vater, der seinen Traum verwirklichen will, Gold zu finden, um seiner Familie ein Schloss aus Glas bauen zu können. Ihre ältere Schwester Lori, die sich immer und immer wieder überall anstößt, weil sie keine Brille trögt. Und ihren kleinen Bruder Brian, mit dem sie regelmäßig Pfandflaschen sammelt, um Taschengeld zu haben und sich einen 10-Cent-Schokoriegel kaufen zu können. Denn Jeannette führt kein gewöhnliches Leben - ihre Eltern weigern sich, dem konventionellen SWchema zu entsprechen. Wie haben die Sechziger und Siebziger Jahre, und die Familie Walls befindet sich in einem Zustand der permanenten Flucht vor Gläubigern, der Polizei und dem Jugendamt. Jahrelang spricht Jeanette Walls nicht über diese Kindheit, in der sich in Pappkartons schlief und froh war, wenn das Mittagessen aus Margarine mit Zucker bestand, weil wenigstens noch das im Kühlschrank zu finden war. Als sie mit fast vierzig Jahren erfolgreiche Journalistin ist und in New York lebt, sieht sie dort eines Nachts ihre Mutter wieder - eine Obdachlose, die im Müll wühlt, und der festen Überzeugung ist, damit das Leben zu führen, das sie führen will. Und sie beschließt, darüber zu schreiben ...

Ich habe das Buch fast in einem Rutsch gelesen und ich weiß immer noch nicht, ob ich Jeanette Walls bemitleide oder bewundere. Dieses Leben abseits von allem, was ich mir für ein Kind an Sicherheit und Zuverlässigkeit ausmale, beschäftigt mich selbst jetzt, drei Wochen nach Lesen des Buchs, immer noch. Ich bin so sauer auf die Eltern, die vier Kinder in die Welt setzen und nicht willens dazu sind, diese Kinder regelmäßig mit Nahrung zu versorgen. Und gleichzeitig fasziniert es mich, wie Jeanette selbst über diese Kindheit erzählt, wie sie es trotz allem schafft zu zeigen: die Eltern machen das nicht etwas, weil ihnen die Kinder egal sind - sondern gerada aus Liebe zu den Kindern, so absurd das klingen mag. Sie wertet nicht, sie schreibt einfach nur von einer Kindheit im Extremen, die sie zu der Frau gemacht hat, die sie heute ist. Als leser muss ich meine eigene Wertung finden und merke, dass es gar nicht so einfach ist, wenn man beide Seiten berücksichtigt.

Daphne DuMaurier - Rebecca

Geht es euch auch so, dass ihr manchmla Buchtitel im Kopf habt und theoretisch genau wisst, worum es geht, sie aber noch nie bewusst gelesen habt? "Rebecca" war bei mir sehr lange in dieser Kategorie. Ich kannte es vor allem durch den Anfang des Alfred-Hitchcock-Films, hatte aber weder den zu Ende gesehen noch das Buch jemals in den Fingern. Erst, als ich wieder mal einen Quartalskauf beim Bertelsmann Club machen musste, landete ich bei dem Roman von Daphne DuMaurier.

Eine junge Frau, die als Gesellschafterin einer reichen Dame arbeitet, lernt beim Urlaub in Monte Carlo einen reichen Mann kennen. Maxim de Winter, so sein Name, heiratet sie und zieht mit ihr auf den Familiensitz Manderley. Doch der Traumprinz enbtpuppt sich als ein zum Teil eiskalter und demütigender Charakter, den vor allem die Naivität seiner jungen Ehefrau anzieht. Und Manderley ist beseelt von der Einnerung an Rebecca - Maxims erste Frau, die eines Tages spurlos verschwand. Bis eines Tages ein Boot gefunden wird, in dem die skelettierte Leiche Rebeccas liegt, mit einer Schusswunde ...

Daphne DuMaurier hat inb ihrem Roman Anklänge des Schauerromans variiert. Immer wieder fühlt man sich ins 19.Jahrhundert versetzt, Manderley könnte auch die neue Absteige für Graf Dracula darstellen. Eine unheimliche Atmosphäre wird mit jeder Seite deutlicher, bis ich mich am Ende des Buches frage, ob die Geschichte tatsächlich wahr ist oder die Ich-Erzählerin an einer psychischen Störung leidet und sich alles nur einbildet. Es ist ein ruhiges Buch, das an jeder Stelle Spannung aufbaut gerade durch das, was es nicht sagt - eine große Kunst, die ich mir viel öfter wünschen würde.

Marlen Haushofer - Die Wand

Eines Tages geschieht es. Es kommt plötzlich und unerwartet. Eine unsichtbare Wand zieht sich durch die Welt und trennt sie in zwei Hälften. Eine Frau, die gerade in einem abgeschiedenen Berghof Urlaub macht, ist die Einzige auf ihrer Seite der Wand - und muss sich ganz neu einrichten in ihrer Welt ...

Ich hatte hier ja schonmal "Die Arena" von Stephen King besprochen, das mit einer ähnlichen Ausgangssituation spielt, und habe dann nochmal "Die Wand" gelesen. Haushofers Roman ist weder ein Action- noch ein Fantasy-Roman wie Kings, aber er ist unheimlich dicht, fesselnd und hat mich sogar beim Wiederlesen einfach in seinen Bann gezogen. Die Überlegung, die Marlen Haushofer macht, ist düster - ein Mensch, der auf sich allein gestellt ist und dessen Zeitrechnung fortan nur noch in der Überlegung besteht, wie lange die Streichhölzer noch halten. Der zurückgeworfen wird in ein Leben, das in erster Linie ein Überleben ist, und der plötzlich so isoliert ist, wie man es sich nicht vorstellen will. Ich bin nur dank der "100 Lieblingsbücher" drauf gestoßen und ehrlich, ich hoffe, dass das Buch noch etliche Leser bekommt - es hat jeden einzelnen verdient.