Freitag, 17. August 2012

Gaiman vs. Marzi oder: Wer hat's erfunden?


Schon seit ewigen Zeiten wollte ich ein Buch lesen, über das ich per Zufall mal gestoplert war: "Niemalsland" von Neil Gaiman. Dank eines amazon-Gutscheins zum Geburtstag habe ich es mir endlich gegönnt und mich dann auch sofort ans Lesen gemacht - die Rezension wollte ich noch diese Woche schreiben, deshalb erstmal zum Buch: Richard ist ein Londoner Durchschnittsmensch, der ein so durchschnittliches Leben lebt, dass es schmerzt. Bis er eines Abends auf dem Weg zu einer Verabredung mit seiner Verlobten ein verletztes Mädchen auf der Straße findet und in einer Spontanaktion beschließt, sie mit in seine Wohnung zu nehmen. Kurze Zeit später tauchen in seiner Wohnung zwei sehr seltsame Gestalten auf, die auf der Suche nach dem Mädchen sind - doch sie ist mit einem Mal verschwunden. Und damit beginnt ein Abenteuer, dass Richard hineinführt in die Welt von Unter-London, einer archaischen Welt der Krieger und Zauberkräfte, in der die Londoner U-Bahn mehr ist als nur ein Trnasportmittel. Er muss dem Mädchen Door helfen, einen Schlüssel zu finden, wenn er selbst jemals wieder ein leben in Ober-London führen will.

Das Buch ist, anders kann ich es nicht sagen, genial. Gaiman schafft es mit unglaublich geringen Mitteln sofort Atmosphäre zu erzeugen und er kreiert einen Kosmos von so völlig simplen und dennoch überraschenden Tatsachen seiner Unterwelt (basierend auf den Namen der Londoner U-Bahn-Stationen gibt es am Earl's Court eben tatächlicch einen residierenden Earl, die Black Friars sind ganz reale Mönche, etc.) Was mir aber am meisten gefallen hat: er skizziert Figuren nur ganz kurz an und dennoch erwachen sie sofort zum Leben. Sei es das Mädchen Anaesthesia, das Richard nur kurz hilf,t aber sofort ein Bild vor meinen Augen wachruft, oder meine beiden Lieblinge im Buch, das Killer-Duo Crouch und Valdemar, die mit jedem ihrer Sätze, jeder ihrer Handlungen eine so unglaubliche Professionalität in ihrem Beruf vermitteln, dass ich noch nie grausamere, gruseligere und faszinierendere Killer erlebt habe. Nicht zu vergessen der Marquis, der Engel islington - ach eigentlich alle. Dieses Buch ist perfekt komponiert und ich habe selten etwas besseres gelesen im Fantasy-Bereich.


Dann war ich letzte Woche in der Stadtbibliothek. Und dort stolperte ich zufällig über ein Buch, das mir vor zig Jahren eine Mitbewohnerin im Studentenwohnheim ans Herz gelegte hatte: "Lycidas" von Christoph Marzi. Schon beim lesen des Klappentextes klingelte es da irgendwie vertraut - die uralte Metropole unter London ... Okay, schauen wir mal. Was ich dann lesen musste war ... wie sag ich es nur, ohne zu fluchen? Ich habe ehrlich noch nie ein Buch in Händen gehabt, dass so dermaßen offensichtlich abgekupfert war von einem anderen Werk. Entschuldigung, Herr Marzi, ihr Buch ist nicht "inspiriert von den Ideen Neil Gaimans", in "Lycidas" tauchen eins zu eins Figuren aus "Niemalsland" auf. Sie haben nur die Namen geändert. Und, leider Gottes, den Rest zusammengekupfert aus diversen anderen Quellen, der Bibel, Dickens, Milton, Dante - wenn schon, dann gleich bei den besten abschreiben, oder?

Kurze Inhaltszusammenfassung: Emily ist ein Waisenmädchen, das in einem Waisenhaus aufwächst,g egen das Dickens Waisenhaus in "oliver Twist" eine Sommerfrische darstellt. Irgendwann begegnet ihr eine Ratte, die sie verstehen kann, und ein Werwolf entführt ein Kind aus dem Waisenhaus. Emily begibt sich auf die Suche und erhält dafür einen mentor, den Alchemisten Wittgenstein, und Unterstützung von ihrer besten Freundin und einem Elfen. So weit, so gut. Was folgt, sind zusammngequirtle Versatzstücke aus diversen altbekannten Romanen und sonstigen Büchern. Und als Krönung des Ganzen wird uns die Geschichte in der wohl schwächsten aller Zeitformen präsentiert: dem Plusquamperfekt. Nein, ich korrigiere, nicht durchgängig. Das Plusquamperfekt - wie ich die Bezeichnung "vollendete Vorvergangenheit" mag! - tritt nur in den spannenden Stellen auf. Denn diese spannenden Stellen werden nicht etwa live von einem Erzähler präsentiert, sondern im Nachhinein von Wittgenstein erzählt. Das Ganze liest sich dann Kapitel für Kapitel immer mehr so, dass am Anfang des Kapitels alles schon passiert ist und Wittgenstein dann zurückgreift um zu erzählen, wie es dazu kam, dass man jetzt an den Anfang des Kapitels gelangt ist. Aua! Aber gut, ich will ja nicht so sein - wenn mir das Buch nicht auch ansonsten einfach körperliche Mängel ob seiner Sprache bescheren würde. Wittgenstein, der Gelehrte, ist selten zu mehr als Dreiwortsätzen in der Lage, wiederholt sich dauerhaft und dauerhaft und ist einfach der wohl unsympathischte und nervigste Erzähler, dem ich je begegnet bin.

Ganz ehrlich, ich hätte das Buch nicht zu Ende lesen sollen. Es tut mir Leid um die Lebenszeit, die dafür draufgegangen ist - dann leiber nochmal die Originale zu Gemüte führen bevor man "Lycidas" anfasst!

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