Sonntag, 2. Dezember 2012

Alina Bronsky - Die schärfsten Gerichte der tartarischen Küche

Jenseits des Urals laufen nicht nur die Uhren anders – auch die Frauen sind gelegentlich ein wenig … anders als alle anderen. Zumindest Rosalinda, eine Tartarin, die sich für viel zu jung hält, um Großmutter zu werden. Doch alle Abtreibungsversuche an ihrer Tochter Sulfia scheitern und „das hässliche Mädchen“, wie Sulfia von ihrer Mutter liebevoll genannt wird, bringt Aminat zur Welt. Und Rosalinda entdeckt, dass es ein Wesen gibt, das sie leidenschaftlich lieben kann. So nimmt die begeistertste und unheimlichste Großmutter aller Zeiten das Schicksal von Tochter und Enkelin in die Hand. Gut, ein paar Kollateralschäden lassen sich nicht vermeiden bei der Suche nach dem Glück – und so verfolgt der Leser erstaunt und zwischen amüsiert und angewidert schwankend, wie Rosalinda es schafft, gleich drei Leben zu zerstören, ohne es tatsächlich selbst zu merken oder zu wollen …
Ehrlich, jedes Mal, wenn ich von dem Buch erzähle, schauen mich alle nur irritiert an nach dem Motto „was für ein Schwachsinn“. Aber das ist es nicht. Es ist ein Buch, das sich eine Figur zur Heldin gesetzt hat, die so gar nicht ins Bild des Helden passen will. Rosalinda ist eine Egomanin, selbstverliebt bis zum gehtnichtmehr und unsympathisch durch und durch. Sie quält Tochter und Enkelin mit Erziehungsmaßnahmen, die Erziehern das Wasser in die Augen treiben lassen wird; sie zerstört eine intakte Familie, um ihre Tochter und die Enkelin nicht zu verlieren; sie geht so weit, Aminat als Werbemaßnahme für einen Pädophilen einzusetzen, der den drei Frauen die Auswanderung nach Deutschland ermöglichen soll – und das alles mit einer Selbstverständlichkeit, die gruselt. Rosalinda ist eine der interessantesten Figuren, die ich als Leser je kennengelernt habe, grade weil sie so ist wie sie ist: berechnend, kalt und immer in der Lage, ihre Vorteile zu ergreifen. Selbst die Arbeit als Putzfrau ist für sie nicht entwürdigend, sondern sie behält die Oberhand, weil es für sie gar nicht denkbar wäre, dass sie anders als würdevoll ist. Am Ende des Buches hatte ich sie fast liebgewonnen, nicht wie eine Großmutter, eher wie eine historische Figur, deren Grausamkeiten man kennt, die aber immer noch so königlich wirkt und sein kann. Ein großartiges Buch, salopp geschrieben und sehr schnell, aber immer genau auf den Punkt zusteuernd, bei dem man denkt, es kann nicht noch schlimmer kommen.


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