Freitag, 28. Februar 2014

[Buchgeplauder] Ulrich Clausny / Gerd R. Ueberschär - "Es lebe die Freiheit!" Die Geschichte der Weißen Rose und ihrer Mitglieder

Diese Rezension steckt jetzt seit mehreren Monaten einfach fest bei mir, dabei wollte ich es euch direkt nach dem Lesen sofort uneingeschränkt empfehlen. Ich habe das Buch zum Abschied von meiner Betreuungslehrerin geschenkt bekommen und meine sehr kurzen Sommerferien dazu genutzt, mich darin zu vertiefen.

Das Buch ist eine Anschaffung wert für jeden, der sich mit der Weißen Rose beschäftigen möchte und vor allem Interesse an Originaldokumenten hat, denn diese nehmen fast die Mehrheit des Buches ein. Zunächst werden die Mitglieder der Weißen Rose in kurzen Biografien vorgestellt, dann die Entwicklung der Weißen Rose und die einzelnen Aktivitäten vorgestellt, es wird eingegangen auf den Prozess und die Folgen für die Familien. Ergänzend folgen danach sowohl Abdrucke der gesammelten Verhörprotokolle von Hans und Sophie Scholl, den vollständigen Flugblättern und den Urteilen gegen alle Mitglieder. Dabei muss man sich jedoch im Klaren sein, dass man es hier mit Akten zu tun hat, nicht mit Dialogen, d.h. die Verhörprotokolle sind samt und sonders am Stück geschrieben und man muss sich ein wenig selbst erschließen, was hier gefragt worden sein könnte oder welche Haltung hinter den Aussagen steht. Dadurch, dass man hier aber interpretieren üben kann, ist das Buch für Geschichtslehrer zumindest mal ein Nachdenken wert, im Unterricht lässt sich das mit Sicherheit mal gut einsetzen. Was mir ebenfalls gefallen hat (und ja, ich bin da seltsam), ist die Tatsache, dass das Buch auch die letzten bekannten Fotos der Weißen Rose veröffentlicht, nämlich die Fotos aus der polizeidienstlichen Behandlung, wie es so schön im Beamtendeutsch heißt. Diese Bilder hatte ich noch nie zuvor gesehen und es ist einerseits einfach spannend gewesen und andererseits ist das Buch damit einen entscheidenden Sprung weg von der Ikonisierung der Weißen Rose durch die bekannten zwei Fotos, die nur drei Mitglieder zeigen.
Mäkelige Leser werden das Buch vielleicht hier und da tendenziell unspannend finden, es ist einfach eine Dokumentensammlung, die sich zum Teil doch sperriger liest als ein reines Sachbuch, aber es ist zumindest als Quellensammlung sehr empfehlenswert.

Sonntag, 23. Februar 2014

[Wochenrückblick] Monatsrückblick Februar


Die letzten Wochen bin ich den Rückblick schuldig geblieben, was sich ganz einfach erklären lässt. Pünktlich am 3.Februar, als ich morgens zur Arbeit gehen wollte, ist mir mein Handy runtergefallen. Zwei Jahre lang hat es mich begleitet, mein nettes Smartphone, zwei Jahre lang habe ich es monatlich abbezahlt und es gelegentlich fallen lassen - und exakt vier Tage nach der letzten Rate fällt es nicht einfach auf den Boden, sondern mir beim Telefonieren aus der Hand und fünf Stufen runter in den Keller. Das Display bestand aus Bröseln und meine Flüche schallten durch den Hausflur. Es half nichts, ich musste ein neues suchen und habe mich wieder für ein Windows Phone entschieden. Das Lumia1020 liefert jetzt neues Bildmaterial und ich habe es geschafft, die Bilder vom alten Handy zu retten ;-)
Ja, wie war der Februar? Erst einmal ziemlich cool, denn am 1. habe ich mich mit einer Freundin getroffen zu einem gemütlichen Cocktail- und Burgerabend in Nürnberg, den wir mit Hugo vor dem Dschungelcamp haben ausklingen lassen - was will man mehr :-) Besonders schön war allerdings meine Ankunft am Flughafen, denn dort war wegen er Spielzeugmesse der gesamte Gepäckbereich mit riesigen Legofiguren aus Legosteinen dekoriert.
Unmittelbar nach diesem gigantischen Wochenende fingen in der Schule Vorbereitungen für einen Projekttag an, so dass mein nächstes Wochenende darin bestand, mit einem Kollegen Arbeitsblätter zu kopieren, den Computer auf Hochtouren zu jagen und sich über Papierstau und andere nervige Dinge zu ärgern. Aber zumindest habe ich eine Wand im Büro, die mir in solchen Fällen hilft, denn dort hänge ich besonders schöne Schülerarbeiten aus. Und das "wir mögen sie so sehr"-Elfchen, das mir eine meiner Fünften zu Weihnachten geschenkt hat.
Am Donnerstag war ich dann mit meiner Neunten im Theater und habe mir "Tschick" angeschaut. Ich muss gestehen, ich habe das Buch bisher nicht gelesen, es mir aber direkt aus den Schulreserven ausgeliehen. Das Stück selbst war in Ordnung, auch wenn meine Schüler extrem viel zu kritisieren hatten ;-) Allerdings habe ich mich auf dem Ausflug erkältet und habe den Samstag im Bett verbracht, trotz Besuch meines Mannes :-(
Dass die Bilder diesen Monat so essenslastig sind, liegt daran, dass mir mein Mann ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk gemacht hat. Ich bekomme einen Monat lang die "Hello Fresh"-Box und habe ich kreativ ausgetobt. Lecker war es und ich überlege grade, das Abo weiterlaufen zu lassen - ich mag die Rezepte und muss nicht mehr einkaufen gehen ...

So, und ab nächster Woche habe ich eine kleine Neuerung hier. Ihr habt vielleicht schon die social-media-Buttons an der Seite bemerkt, ab heute Abend kommt noch einer dazu. Jawoll, ich bin dann doch bei Instagram gelandet und werde ein bisschen Fotoeinblicke bei mir geben. Wer nicht mitlesen will, kriegt aber sonntags zumindest die besten Bilder geliefert ;-)

Sonntag, 16. Februar 2014

[Buchgedanken] Chris Cleave - Little Bee

Little Bee ist 16 Jahre alt und aus Nigeria. Mehr weiß man nicht über das junge Mädchen, das in einem britischen Asylgefängnis auf die Abschiebung oder den genehmigten Asylantrag wartet. Als sie durch eine Zufall freigelassen wird, ruft sie die einzige Nummer an, die sie kennt, die von Andrew O'Rourke, einem britischen Journalisten, der gemeinsam mit seiner Ehefrau Sarah in London lebt. Doch als Little Bee bei ihnen eintrifft, hat sich Andrew das Leben genommen und Sarah weiß nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Little Bee bleibt bei ihr und nach und nach offenbart sich dem Leser, wie die Schicksale dieser drei so unterschiedlichen Menschen tatsächlich verknüpft sind ...

Das Buch ist mir jetzt schon mehrfach über den Weg gelaufen, und da ich "Lieber Osama" von Chris Cleave echt gut fand, habe ich das Buch nach der letzten Enttäuschung zwischengeschoben. Positiv ist, dass man die dreihundert Seiten wirklich schnell weglesen kann, ich habe einen Tag für das Buch gebraucht. Aber das Buch hat eben auch ein großes, blinkendes Aber.

Dieser Roman beinhaltet extrem bedrückende Stellen, in denen Bees Schicksal in Nigeria und ihre Erlebnisse während der Haft behandelt werden. Little Bee ist eine sehr seltsame Erzählerin, die einerseits für ihr Alter und ihre Herkunft außergewöhnlich gut und souverän mit der englischen Sprache umgeht (also sprachliche Bilder verwendet, eine bewusste Erzählposition einnimmt und die auch immer wieder reflektiert, ...) Andererseits geht sie über ihre Geschichte auch manchmal sehr schnell hinweg, erzählt viele Dinge nur am Rand, vielleicht, weil sie sich selbst vor diesen Erinnerungen und Erlebnissen schützen will, vielleicht, weil Cleave den Leser nicht zu sehr schocken wollte. Stattdessen entscheidet er sich dazu, eine Teil der Geschichte aus der Sicht von Sarah berichten zu lassen und scheitert hier so ziemlich auf ganzer Linie. Mal ehrlich, diese gesammelte Geschichte, in die Sarah da verwickelt ist, ist dermaßen hanebüchen! Sarah wird hier verkauft als eine erfolgreiche Geschäftsfrau, Chefreadakteurin einer Frauenzeitschrift, ihre Kollegin erklärt ihr sogar, sie könne als Chefredakteurin einer angesehenen politischen Zeitschrift arbeiten - also davon merk ich im Buch mal so gar nichts. Die meiste Zeit ist Sarah ein naives Ding, das kuhäugig von der Schlechtigkeit der Welt erfährt. Entschuldigung, wir reden hier von der Frau, die einen Versöhnungsurlaub mit ihrem Mann in einer ausgewiesenen Krisenregion macht und dann völlig überrascht ist, am Strand über Soldaten zu stolpern! Auf mich wirkt Sarah deutlich unreifer und naiver als die halb so alte Little Bee und das gefällt mir irgendwie so gar nicht. Dadurch verliert die Geschichte extrem an Glaubwürdigkeit, die sie eigentlich nötig hätte, um Little Bees Aussagen und Cleaves Kritik zu unterstützen.

Ach ja, und wo ich schon am meckern bin: kann jemand bitte dafür sorgen, dass nie wieder ein Autor auf die Idee kommt, dass es genug an Gagdichte wäre, wenn ein kleiner Junge permanent im Batman-Kostüm rumläuft? Gott, hat Charlie mich genervt ... Ja, ja, das wird psychologisch aufgelöst und so, aber ich finde diese Kinderkostüme leider so doof, dass Charlie auf mich eher ein wenig zurückgeblieben gewirkt hat. Ja, das ist gemein, aber das waren meine ersten Gedanken.

Nein, im Ernst, so schlecht ist das Buch auch nicht. Wenn man sich überwinden kann, diese Logikkrater auszublenden und relativ wenig aufrüttelnde Szenen hinnehmen kann

[Hörbuch] Fear and Loathing in Las Vegas (gelesen von Martin Semmelrogge u.a.)

Die letzten sechs Wochen habe ich nicht nur permanent Bekanntschaft mit dem ADAC machen dürfen, sondern auch mit einem sogenannten Kultroman. Hunter S. Thompsons "Fear and Loathing in Las Vegas" landete als Hörbuch von einer wohlmeinenden Bekannten bei mir mit einem kurzen Begleitbrief : "Vielleicht fällt's dir leichter als mir, damit warm zu werden."

Ich muss es leider verneinen. Erzählt wird die Geschichte des Journalisten Raoul Duke, der ür eine Zeitung über ein Of-Road-Rennen in Las Vegas berichten soll. Dabei wird er von dem Anwalt Dr. Gonzo begleitet und schon bald stellt sich heraus, dass die beiden in erster Linie daran interessiert sind, sich in Las Vegas das Hirn wegzuradieren, indem sie nahezu sämtliche erwerblichen Drogen auf einmal konsumieren. Das Buch beginnt mit einem denkwürdigen Absatz. 
„Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher … sowie einen Liter Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier, einen halben Liter unverdünnten Ether und zwei Dutzend Poppers. Den ganzen Kram hatten wir in der Nacht zuvor zusammengerafft, auf einer wilden Höllenfahrt durch den gesamten Los-Angeles-Bezirk; von Topanga bis Watts griffen wir uns alles, dessen wir habhaft werden konnten. Nicht, dass wir das ganze Zeug für den Trip wirklich brauchten, aber wenn man sich einmal darauf einläßt, eine ernsthafte Drogen-Sammlung anzulegen, neigt man eben dazu, extrem zu werden."
Je länger ich zugehört habe, desto mehr war ich der Meinung, den Sinn des Werks vermutlich nur mit einer ähnlichen Ladung erschließen zu können. Es ist einfach nicht meine Welt, in die ich hier entführt werde, aber es hätte ja zumindest Unterhaltung beim Autofahren werden können.

Dass es das nicht wurde, liegt an der Umsetzung. Wenn wir noch einmal nachschauen, dann finden wir in diesem Buch zwei Protagonisten. Wenn man also mehrere Sprecher einsetzen will, wie viele bieten sich dann an? Nach Meinung der Produzenten ihrer drei. Davon einer deutlich älter als die beiden Figuren, einer deutlich angelaschter als die beiden, und einer gesegnet mit der quäkenden Stimme eines Martin Semmelrogge, die zwar perfekt zur Geschichte passt, mir aber beim Hören immer wieder auf den Senkel geht. Die drei wechseln sich immer Track für Track ab, ohne dass für mich verständlich wäre, warum genau jetzt ein anderer Sprecher erforderlich sein könnte. Es ist alles andere als hilfreich, in einer Geschichte, sie so oder so schon verwirrend genug ist, dem Zuhörer auch noch die letzte Konstante zu nehmen, das freut doch den Hörer ungemein, der nichts anderes zu tun hat, als sich zu fragen, wer denn jetzt grade was und warum fragt.

Um es also kurz zu machen: kein Hörbuchtipp von mir :-(

Samstag, 15. Februar 2014

[Buchgedanken] Marylin Monroe - Tapfer lieben

Marilyn Monroe ist eine Person, die man nur schwer fassen kann. Das liegt meiner Meinung nach vor allem daran, dass diese Kunstfigur, diese äußere Hülle Marilyn die echte Norma Jean ziemlich gut versteckt hat und sich zu ihren Lebzeiten eigentlich niemand gefragt hat, was in der hübschen Hülle stecken könnte. Deshalb war ich sehr gespannt, dieses Buch in die Finger zu bekommen, in dem Gedichte und persönliche Aufzeichnungen versprochen werden, die einen anderen Blick vermitteln sollen. Insgesamt muss ich allerdings sagen, dass dieses Buch hier und da wirklich Probleme bereitet hat, mit denen ich nicht gerechnet hätte ...

Das erste, was mir am Buch aufgefallen ist, war die Aufmachung, die so viel Authentizität wie möglich vermitteln will. So sind auf jeder Doppelseite erstens Abdrucke der Originale zu finden, daneben eine gedruckte Version des englischen Originals und zum Abschluss eine deutsche Übersetzung, in der sogar Rechtschreib- oder Ausdrucksfehler wiederzugeben versucht werden. Das macht das Buch interessant zum Anschauen, zum Teil aber auch ein wenig mühsam zu lesen (plus die für mich unglückliche Größe des Buchs, sodass ich es nur schwer festhalten konnte). Je mehr ich mich in das Buch dann vertieft habe, desto interessanter und gleichzeitig verwirrender fand ich es letztlich. Gefallen hat mir zum Beispiel der Anfang, ein Brief Marilyns an ihren ersten Ehemann, in dem sie ihre Ehe und Beziehung sehr genau analysiert und sich als ein sehr nachdenklicher, reflexiver Mensch entpuppt. Auch fasziniert war ich von den Fotos, die ins Buch gebracht werden, und die vor allem Bilder zeigen, auf denen Marilyn liest, nicht einfach irgendetwas, sondern klassische Romane der englischen und amerikanischen Literatur. Die Bilder passen ziemlich gut in die Aussagen des Buchs rein und lockern das Buch durchaus auf.

Was für mich aber ein Problem dargestellt hat, das war, dass ich nie so wirklich verstanden habe, was manche der Aufzeichnungen mit jetzt mitteilen sollen. Eine Einkaufsliste für eine Party steht da willkürlich zwischen Gedichten und einem Filmzitat, das sie irgendwann aufgeschrieben hat. Mmhm, spannend ... auf mich wirkte es mehr, als hätten die Herausgeber halt alles, was sie an Schriftstücken gefunden haben, reingepackt ins Buch, ohne das Material tatsächlich zu sichten. Mir fehlen auch ein wenig Zusammenhänge, z.B. zu dem Klinikaufenthalt. Hier wird plötzlich ein Brief von ihr an ihre Therapeutin abgedruckt, ohne dass jemand, der nicht parallel bei Wikipedia recherchieren will, erklärt bekommt, wie sie in der Psychiatrie gelandet ist. Ich hätte mir einfach mehr Verortung und Erklärung im Buch gewünscht, nur hier und da eine Fußnote, wer die betreffende Person ist, genügt mit persönlich einfach nicht.

Nichtsdestotrotz, ich fand das Buch durchaus gut, aber ich muss es mir nicht unbedingt nachkaufen ...

Sonntag, 9. Februar 2014

[Buchgedanken] Frank McCourt - Die Asche meiner Mutter

Es gibt Bücher, die muss ich laut lesen. Das heißt tatsächlich, dass ich beim Lesen mir vorlese, was dort steht - in den meisten Fällen, weil ich beim lauten Lesen erst richtig in eine Sprache eintauche und mich in sie fallen lassen kann. Dass ein Buch mich dazu veranlasst, ist ein ziemlich deutliches Qualitätsmerkmal für mich, und deshalb habe ich diesen Monat für meine Lieblingsbücher-Challenge auch ein Buch ausgewählt, das ich nahezu vollständig laut vorlesen möchte.

Frank McCourt wird 1930 in New York geboren. Seine Eltern sind irische Einwanderer, die 1934 nach dem Tod der jüngsten Tochter Margaret beschließen, mit den vier Söhnen zurück nach Irland zu gehen. Der Vater, IRA-Kämpfer und Alkoholiker, schafft es im neuen alten Heimatland nicht, eine Stelle zu behalten und die Familie sinkt immer mehr in eine Abwärtsspirale der Armut. Mit 14 muss Frank seinem Lehrer versprechen, eines Tages zurück in die USA zu gehen und bunkert mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Geld, bis er mit 21 tatsächlich eine Schiffspassage buchen kann. Mit über 60 schreibt er seine Geschichte auf - wobei "Die Asche meiner Mutter" der erste Teil seines Lebens ist, es folgen zwei Bände über sein Leben in den USA.

Ich kann die ersten zwei Seiten dieses Buches nahezu auswendig widergeben. "Meine Eltern hätten in New York bleiben sollen, wo sie sich kennengelernt und geheiratet haben. Stattdessen sind sie nach Irland zurück, als ich vier Jahre alt war und mein Bruder Malachy war drei und die Zwillinge Oliver und Eugene grade male in Jahr alt und meine Schwester Margaret war tot und weg." Mit diesen zwei Sätzen beginnt Frank McCourt eine Lebensgeschichte, die man niemandem wünscht, und der man in diesem Buch dennoch immer folgt. Erstens, weil man weiß, dass es gut enden muss, schließlich ist es die Geschichte des Autors. Und zweitens, weil McCourt trotz allen Elends nie verbittert über seine Kindheit schreibt. Und das liegt vor allem an seinem sprachlichen Vermögen (im Original) und an der Leistung Harry Rowohlts als Übersetzer. In diesem Buch hat er es geschafft, eine Übersetzung herzustellen, die so wirkt, als hätte McCourt sie selbst geschrieben, wenn er Deutsch spräche. Die im Buch integrierten Lieder und Balladen wurden ebenso rhythmisch übersetzt wie die wörtlichen Reden, alles wirkt glaubwürdig und genau so, als würde man diese Geschichte genau jetzt erzählt bekommen.

Was mir besonders gefällt, ist die Tatsache, dass McCourt die Figuren im Buch nicht groß analysiert, sondern dem Leser einfach Informationen gibt, die er verarbeiten muss. Es fällt schwer, nicht auch Mitleid mit dem Vater Malachy zu haben, der als Nordire in Limerick eigentlich keine Chance kriegt, weil er sowieso eine komische Art hat, und der seinen Frust in Alkohol ertränkt und ohne Alkohol noch weniger kann als mit. Seine Frau Angela ist die stärkere in der Beziehung und gleichzeitig nicht in der Lage, gegen jahrhundertalte Traditionen vom starken Mann aufzubegehren - wenn sie es tut, wird Malachy noch antriebsloser und frustrierter. Franks Sichtweise wird immer mehr von der eines Kindes, das sich die Welt erklärt, zu der eines jungen Mannes, der mehr wissen will als ihm erklärt wird, dieses Aufwachsen macht der Leser innerhalb des Buchs mit. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Buch mich so unglaublich mitnimmt und ich zuerst noch heule, dann wütend werde und schließlich mit einem ganz befriedigenden Grinsen gemeinsam mit Frank auf dem Schiff stehe und auf das nächtliche Amerika sehe. "Ist das nicht ein rundherum tolles Land?", fragt ihn der Nachrichtenoffizier an Bord und spätestens jetzt muss ich laut lesen, denn Franks trotziges "Doch." (das kürzeste Kapitel des Buchs und im Original mit dem verschliffenen " 't is" noch viel, viel glaubwürdiger) ist genau das, was ich empfinde. Ein Buch, das mich in so viele verschiedene Gefühle schmeißt, mich darin untergehen lässt und mir am Ende doch noch Hoffnung gibt, muss man immer wieder lesen - und deshalb auch in diesem Monat ein großes Danke für die Challenge, das Wiedersehen mit der Familie McCourt habe ich gebraucht.

Samstag, 8. Februar 2014

[Buchgedanken] Andrea Sawatzki - Ein allzu braves Mädchen

In einem Villenviertel verständigt ein besorgter Nachbar die Polizei wegen des ständigen Hundegebells aus dem Nebenhaus. Die Polizisten finden im Haus die Leiche des Besitzers, eines ehemaligen Staatsanwalts. Parallel finden zwei Jungen in einem Wäldchen eine junge Frau in einem Abendkleid, die kein Wort spricht. Im Krankenhaus soll eine Psychologin sich ihrer annehmen und es scheint, als würden die beiden Fälle zusammenhängen. Allmählich öffnet sich die unbekannte Patientin und schildert der Psychologin die Geschichte ihrer Kindheit. Als sie acht Jahre alt ist, erkrankt ihr Vater an Alzheimer und das Mädchen muss sich gemeinsam mit der Mutter um ihn kümmern. Die traumatischen Erlebnisse mit dem dementen Vater reißen das Mädchen in eine Spirale nach unten ...

Ach, ich weiß auch nicht, was ich mir erwartet habe. Ich mag Andrea Sawatzki und dachte, dass sie mit Sicherheit nicht eine völlig unfähige Schriftstellerin sein wird, wenn der Piper-Verlag sie mit einer ziemlich großen Auflage debuttieren lässt. Gut, 16,99 für nur 173 Seiten Text ist verdammt happig, deshalb habe ich das Buch dann doch nur gebraucht via medimops bestellt und kann jetzt sagen: zum Glück habe ich das so gemacht. Mich hat dieses Buch nicht überzeugen können.
Die Idee ist sehr interessant und bei guter Ausführung hätte ich vermutlich ein Highlight meines Lesejahres vor mir gehabt. Aber leider sind diese 170 Seiten eine einzige Aneinanderreihung von schon hundertmal gelesenen Beschreibungen. Es gibt keine Szene, in der ich wirklich Zugang finde, in der ich Grauen, Schrecken, Wut oder Hass nachvollziehen kann - weil mir alles vorgegeben wird. Kein Bild ist wirklich plastisch, keine Sprache wirklich authentisch, keine Handlung wirklich realistisch. Dass sich diese Patientin so schnell öffnet und dann wie ein Wasserfall einfach alles rauslässt, nehme ich der Autorin nicht ab. Die Polizei spielt effektiv keine Rolle, es ist mehr oder weniger ein langer Monolog, in dem mir ein Erzähler genau sagt, wie ich mich jetzt zu fühlen habe. Sowohl Plot als auch Sprache schaffen es nicht, mich bei der Stange zu halten, ich habe das Buch gelesen und konnte mich dabei gleichzeitig im Kopf mit der Einkaufsliste beschäftigen, so wenig gefesselt war ich. Dieser Versuch wurde in den Sand gesetzt und ich hoffe, dass Andrea Sawatzki weiter spielt und weniger schreibt ...

[Buchgedanken] Erica Fischer - Aimée und Jaguar. Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943

Lilly Wust ist 29 Jahre alt, verheiratet, Mutter von vier Kindern. Sie lebt im Jahr 1941 ein ziemlich alltägliches deutsches Leben. Die Ehe mit ihrem inzwischen einberufenen Mann leidet unter seiner Affäre, sie selbst versucht sich mit diversen Männerbekanntschaften Abwechslung vom Alltag zu holen. Doch dann lernt sie über ihre Haushaltshilfe eine 21-Jährige kennen und ist hin und weg. Felice Schragenheim ist jung, hübsch, nie um ein Wort verlegen und an Lilly mehr als interessiert. Tatsächlich verliebt sich Lilly Hals über Kopf und die beiden Frauen leben zumindest innerhalb der vier Wände der Wust'schen Wohnung ihre Liebe ungehindert aus. Als Felice Lilly schließlich gesteht, dass sie Jüdin und untergetaucht ist, ist es für Lilly keine Frage, dass sie Felice weiterhin unterstützt. Doch im August 1943 wird Felice schließlich verhaftet und nach Theresienstadt und von dort nach Groß-Rosen deportiert, wo sie schließlich stirbt. Erst als Lilly für ihre Unterstützung von Felice und drei anderen Jüdinnen 1984 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird, gesteht sie, dass Felice und sie mehr als Freundinnen waren. Sie selbst haben sich als verheiratet empfunden und planten ein gemeinsames Leben ...

Erica Fischer hat das Buch nach etlichen Interviews mit Elisabeth Wust geschrieben, darüber hinaus auch noch viele andere Überlebende befragt, die Felice und Lilly kannten. Dementsprechend ist das Buch sehr zitatenlastig, immer wieder unterbricht Fischer ihre Schilderungen, um längere Aussagen einzubauen. Das finde ich ganz schön, ist aber gelegentlich ermüdend, wenn z.B. eigentlich Felices Leben und die immer bedrohlichere Situation geschildert werden sollen, bis sie untertaucht, denn die Erzählpassagen muss man da wirklich zum Teil mit der Lupe suchen. Was mir allerdings wirklich nicht gefallen hat, war die Tatsache, dass ich das Gefühl hatte, dass Erica Fischer mit dem Buch effektiv ihre vorgefertigte Meinung über Elisabeth Wust darstellen wollte. Es ist Geschmackssache, aber ich mag es eigentlich ganz gerne, wenn der Autor seine Interpretation begründet . Und das ist es, was ich ziemlich vermisst habe, denn letztlich geht sie mit Lilly sehr hart ins Gericht und stellt sie als naive und ein wenig habgierige Trulla dar, die gar nicht kapiert, wie die Situation für Felice ist. Jedenfalls sind sämtliche Zitate von anderen über Lilly in genau diese Richtung gelenkt und Lilly selbst kommt kaum zu Wort. Grade das wäre für mich wirklich interessant gewesen, denn wenn Lilly schon so etwas tut wie Hals über Kopf nach Theresienstadt zu fahren, um dort Felice zu suchen, dann wäre doch das erste, was ich mache als Autorin, sie nach ihren Motiven zu fragen. Die werden dann aber quasi nur durch Fremdzitate und Beschreibungen von außen geliefert, wobei deren Objektivität ein wenig sehr ... weiß auch nicht wie ist. Wohlgemerkt, ich will ja nicht, dass Lilly hier als Heldin mit Ariel-weißer Weste dargestellt wird, aber mir ist Fischer einfach zu subjektiv in ihrer Darstellung und zu wenig begründend in ihren Schlussfolgerungen. Ja, das Buch ist gut geschrieben, ist spannend und faszinierend, aber in der Recherchearbeit hätte ich persönlich andere Schwerpunkte gesetzt ...

[Buchgedanken] Tess Gerritsen - Totengrund

Maura Isles ist bei einem Kongress und leidet wieder einmal extrem unter der heimlichen Beziehung zu Daniel. Als sie zufällig einen alten Studienfreund trifft, lässt sie sich von ihm dazu überreden, mit ihm und einigen Freunden übers Wochenende zum Skilaufen zu fahren. Doch dort läuft alles schief. Nicht nur, dass die Tochter ihres Freundes alles andere als begeistert über Mauras Begleitung ist, dank eines Navigationsfehlers landet das Auto in den Schneewehen einer einsamen Straße. Die Gruppe landet in einem verlassenen Dorf, dessen Bewohner fluchtartig aufgebrochen sein müssen. Maura hat das Gefühl, dass sie nicht die einzigen Menschen im Dorf sind, und schon bald ist klar, dass die Gruppe in Gefahr schwebt. Kurze Zeit später erhält Jane Rizzoli einen besorgten Anruf von Daniel, denn Maura ist immer noch nicht zu Haus angekommen. Und dann wird ein Auto gefunden, in dem vier verbrannte Leichen liegen - und Mauras Gepäck in dessen Kofferraum. Schnell ist jedoch klar, dass Maura den Mördern entkommen konnte - stattdessen ist sie mit einem Jungen auf der Flucht durch die Schneelandschaft.

Ach, ich weiß auch nicht. Mich nervt seit ein paar Bänden Maura immer mehr. Auch hier ist mir dieses permanente Hin und Her mit Daniel einfach zu viel des Guten gewesen. Darüber hinaus fand ich, dass das der zweitschwächste Band der ganzen Serie war, weil ich das Gefühl hatte, Tess Gerritsen wusste selbst nicht so genau, worauf sie hinaus wollte. Das Buch fängt großartig an mit einer Schilderung eines jungen Mädchens, dessen Eltern Mitglieder einer Sekte sind. Für mich als Leser wäre es toll gewesen, immer mal wieder etwas zu erfahren, stattdessen bleibt diese Geschichte dann bis fast zum Ende ohne großen Zusammenhang zur restlichen Handlung. Mich hätte diese Sekte sehr viel mehr interessiert, grade weil dann noch einmal so stark darauf Bezug genommen wird. Darüber hinaus war für mich die Auflösung des ausgestorbenen Dorfs ziemlich an den Haaren herbei gezogen. Das Ganze wird auch noch garniert mit Maura als Sahnekirsche, die zumindest für mich nur selten nachvollziehbar agiert. Diese gesamte Flucht-Handlung zieht mich nicht so richtig mit, sie ist immer nur angefangen, kommt aber nie zu Potte, sondern wird von einer genau so zusammengehämmerten Rizzoli-Episode immer wieder unterbrochen, wenn man denkt, jetzt würde es doch einmal ein wenig tiefer gehen. An diesem Buch hat mich wirklich so gar nichts großartig bei der Stange halten können, außer dass ich es lesen wollte, um den Anschluss zum Folgeband endlich zu verstehen.

Montag, 3. Februar 2014

[Buchgedanken] Mechtild Borrmann - Der Geiger

Sascha Grenko ist Mitte 30, als sich sein Leben mit einem Anruf schlagartig verändert. Am anderen Ende der Leitung ist Viktoria, seine Schwester, die er nach dem Unfalltod der Eltern bei einer Odyssee durch Kinderheime und Pflegefamilien irgendwann aus den Augen verloren hat. Doch jetzt meldet sie sich bei ihm und muss ihn unbedingt treffen: es geht um Leben und Tod. Noch bevor er erfährt, was es damit auf sich hat, wird Viktoria von einem Unbekannten erschossen und Alexander ist auf der Flucht vor der Polizei. Dank der Aufzeichnungen seiner Schwester erfährt er ein Familiengeheimnis. Ihr Großvater Ilja war ein bekannter Geiger, der nach offizieller Lesart 1948 in den Westen geflüchtet ist und seine Frau Galina und die Söhne Pawel und Ossip zurückließ. Diese wurden als Angehörige eines Landesverräters nach Sibirien verbannt. Was niemand weiß: tatsächlich wurde Ilja wegen angeblicher Fluchtpläne verhaftet und zu zwanzig Jahren in einem Arbeitslager verurteilt. Seine Stradivari, die er bei der Verhaftung bei sich hatte, ist seitdem verschwunden und Viktoria war ihr auf der Spur. Dabei scheint sie sehr viel höheren Mächten auf die Füße getreten zu sein, als abzusehen war ...

Das Buch war ein Spontankauf, weil es im Klappentext weniger nach einem Krimi klang als es dann tatsächlich zur Hälfte war. Wobei diese Passagen mich eher enttäuscht haben, da ist mir der Zufallsfaktor und die unglaubliche Wendung doch zu stark strapaziert. Was mir an dem Buch aber extrem gefallen hat, waren die parallel erzählten Geschichten von Galina und Ilja, die so ganz anders wirken als die "warte, ich baller mal schnell ein bisschen"-Haupthandlung. In diesen Passagen wird die Autorin zu einer wunderbaren Erzählerin, die mit starken Bildern arbeitet, um das alltägliche Grauen bzw. das alltägliche Elend darzustellen, in dem sich die bisher privilegierte Familie wiederfindet. Für mich war es sehr spannend, mich auf demselben Wissenslevel wie Ilja befinden zu müssen, keine Ahnung zu haben, was passieren könnte und was passiert ist - die Lösung war mir dann zwar durchaus schnell als Verdacht im Kopf, andererseits will man es nicht unbedingt wahrhaben. Mich hat das Buch in diesen Szene stark beeindruckt, deshalb empfehle ich es weiter. Als Krimi ist es doof, aber zum Glück beschränken sich diese Seiten auf etwas mehr als ein Drittel ;-)

[Challenge] Lisas Chaos-Challenge


Schon wieder eine Challenge? Ja, klar doch. Warum? Weil ich immer noch meinen SUB abbaue und es ganz nett finde, mir am Anfang des Monats ein paar Bücher direkt neben das Bett zu stellen und sie im Laufe des Monats zu lesen. Daher war ich ganz begeistert, in Lisas Bücherchaos auf diese Challenge zu stoßen. Abwechslung im SUB-Alltag kann ich immer gebrauchen :-)

Wie es abläuft? Es gibt insgesamt 35 Vorgaben, von denen ich mindestens 20 erfüllen muss. Das Schöne ist, dass mir zu einigen davon spontan auch Bücher einfallen, die ich gerne diesen Monat lesen möchte, sodass ich meinen Abend heute mit Bücher sichten verbringen werde :-)
  1. ...lies ein Buch, dessen Autor/in unter 20 war, als er/sie es schrieb.
  2. ...lies ein Buch, dessen Originaltitel auf Deutsch ist.
  3. ...lies ein Buch, dessen Titel aus fünf Worten besteht. (Beispiel: "Du oder das ganze Leben" oder "Percy Jackson- Diebe im Olymp")
  4. ...lies ein Buch, auf dessen Cover ein Muster zu sehen ist.
  5. ...lies ein Buch, das weniger als 300 Seiten hat.
  6. ...lies ein Buch, das vor 2009 erschienen ist.
  7. ...lies ein Buch, dessen Originaltitel übernommen wurde.
  8. ...lies den letzten Band einer Trilogie.
  9. ...lies ein Buch, auf dessen Cover ein Vogel zu sehen ist.
  10. ...lies ein Buch, das im Jahr 2012 erschienen ist.
  11. ...lies ein Buch, das du schon einmal gelesen hast.
  12. ...lies ein Buch, in dem es um Zombies geht.
  13. ...lies ein Buch, dessen Autor ein K im Nachnamen und ein A im Vornamen hat.
  14. ...lies den dritten Band einer Reihe. (Nicht einer Trilogie!)
  15. ...lies ein Buch in englisch.
  16. ...lies ein Buch, dessen Cover größtenteils blau ist.
  17. ...lies ein Buch, welches von zwei Autoren geschrieben wurde.
  18. ...lies ein Buch, das mehr als 500 Seiten hat.
  19. ...lies ein Buch, in dem es um Engel geht.
  20. ...lies ein Buch, auf dessen Cover weniger als 3 Bildelemente zu sehen sind.
  21. ...lies ein Buch, dessen Cover größtenteils weiß ist.
  22. ...lies ein Buch aus dem FJB Verlag.
  23. ...lies ein Buch, auf dessen Cover ein Paar zu sehen ist.
  24. ...lies ein Buch, dessen Cover größtenteils rosa ist.
  25. ...lies den ersten Band einer Trilogie.
  26. ...lies ein Buch, dessen Originalcover ins Deutsche übernommen wurde. (Leichte Veränderungen sind okay)
  27. ...lies ein Buch, dessen Autor verstorben ist.
  28. ...lies ein Buch, auf dessen Cover Blumen zu sehen sind.
  29. ...lies ein Buch, in dem es um griechische Mythologie geht.
  30. ...lies ein Buch, das im Jahr 2014 erschienen ist.
  31. ...lies ein Buch, in dem es um die Apokalypse geht.
  32. ...lies ein Taschenbuch.
  33. ...lies ein Buch, auf dessen Cover zwei, oder mehr Mädchen zu sehen sind.
  34. ...lies ein Buch, welches bisher nur als HC erschienen ist.
  35. ...lies ein Buch aus dem Carlsen oder Goldmann Verlag. 

[Buchgedanken] Terry Pratchett - Dunkle Halunken

London unter Queen Victoria. Die Straßen sind dreckig, die Nächte dunkel und die Bevölkerung teilt sich auf in eine vermögende Mittelschicht und die breite Masse der Armut. Zu ihr gehört auch Dodger, ein Tosher, der in der Kanalisation sein Glück in Form von verlorenen Münzen und Wertgegenständen sucht. Er ist der König der Tosher, ein Schlitzohr und Windhund, der sich seit Jahren durchschlägt. In diese friedliche Existenz dringt eines Tages eine Frau ein. Ganz versehentlich, denn Dodger wird Zeuge, wie sie aus einer Kutsche zu fliehen versucht. Ganz Gentleman eilt er ihr zur Hilfe und schlägt ihre Kidnapper in die Flucht - ohne zu ahnen, dass er damit ins Zentrum eines Kriminalfalls gerät. Denn die unbekannte Schönheit ist auf der Flucht vor höchsten Kreisen. Gemeinsam mit Charlie Dickens versucht Dodger, sie zu beschützen, bringt dabei ganz zufällig einen mörderischen Friseur in der Fleet Street zur Strecke und muss beweisen, dass ein echter Dodger aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt sein muss ...

Ich habe dieses Buch gekauft und ins Regal gestellt. Ich habe es im Laufe der letzten Monate immer wieder rausgenommen und wollte es lesen - und habe es wieder zurückgestellt. Über Weihnachten ist das auch meinem Mann aufgefallen und er fragte mich, warum ich nicht einfach endlich mal lesen würde. Und ich konnte nichts anderes sagen als: "Ich habe Angst, dass es mir nicht gefallen wird." War es eine Vorahnung? Vielleicht ja, denn tatsächlich habe ich das Buch jetzt nach drei Wochen durchgearbeitet und - ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde - ich bin enttäuscht.

Das Buch hat alles, was ich mag. Terry Pratchett als Autor und das viktorianische London, das klingt nach einer Kombination, die nur funktionieren kann. Das Buch spielt also zu Abwechslung nicht in der Scheibenwelt, sondern hat reale Bezüge. Und genau hier habe ich mein erstes Problem bekommen. Das ganze Namensgewirr hat eher etwas von name dropping, ohne in einen wirklichen Bezug gesetzt zu werden oder den Leser einen Wissensgewinn zu vermitteln (außer, er liest zuerst das Vorwort, um erklärt zu bekommen, wer diese Leute alle sind). James Mayhew ist da so ein Fall - ich meine, wenn ich das Nachwort richtig interpetiere, dann ist sein Werk über die Lebensbedingungen der Armen in London Pratchetts Inspirationsquelle. Wieso macht man dann nichts aus diesem Mann? Mayhew taucht im Buch auf und darf - bitte entschuldigt meine Wortwahl - doof in der Gegend rumkucken. Warum taucht er denn überhaupt auf? Oder auch Charles Dickens. Es mag eine reizvolle Idee gewesen sein nach dem Motto "höhö, Charles Dickens lernt einen Typen kennen, der Dodger heißt" aber auch Dickens bleibt blass und letztlich bedeutungslos, so wie auch alle anderen authentischen Figuren. Bei keiner verstehe ich ihren tieferen Sinn, alle sind billig-kolportierte Staffage, damit man sich dran erinnert, nicht in der Scheibenwelt zu sein. Diese lauwarme Welt wird dann angereichert mit einer extrem dünnen Story, die so glaubwürdig ist wie eine Kuh bei Olympia. Mich hat sie nicht gefesselt, nicht unterhalten und nicht berührt - denn sie funktioniert einfach nicht. Sie würde sehr gut in einem Schweibenwelt-London funktionieren, aber hier ist der historische Anspruch einfach am Zwischenpfuschen. Die unglaubwürdigen Handlungsstärnge treffen auf wenig überzeugende Milieuschilderungen, die wirken wie mit einem extradicken Textmarker gezogen, in der Hoffnung pointilistische Bilder zu gestalten. Dass die deutsche Übersetzung (ich hoffe in diesem Fall, dass das Original weitaus besser ist) sich so flüssig liest wie die Kinderversion der Encyclopedia Britannica ist dann noch das i-Tüpfelchen. Die Dialoge sind vorn und hinten gestellt, ringen um bemühte Ironie und haben mir beim Lesen sowas von überhaupt keinen Spaß gemacht, dass ich hätte heulen mögen.

Verdammt, ich wollte das Buch gut finden, aber es geht einfach nicht :-(