Sonntag, 22. Juni 2014

[Lieblingsbücher] Ephraim Kishon - Kein Applaus für Podmanitzki

Als ich 13 war, habe ich in einem meiner Schulbücher eine Satire von Ephraim Kishon entdeckt. Beim Lesen fiel mir ein, dass meine Eltern von ihm ein Buch irgendwo im Regal stehen hatten, das ich mir kurzerhand auslieh. Nach knapp zwei Stunden war ich ein ziemlicher Fan und die nächsten Jahre vergingen damit, mir so ziemlich jedes Bastei-Lübbe-Buch zu besorgen, auf dem vorne sein Name stand. Mit 17 bin ich sogar auf die Frankfurter Buchmesse gefahren, um ein Autogramm des Meister der Satire zu erhalten :-p  Angefangen hat es alles mit diesem Buch, das ich bis heute nicht meinen Eltern zurückgegeben habe, sondern dass inzwischen vier Umzüge mitgemacht hat, und das ich bis heute immer noch für das beste halte. (Wobei, die erste Liebe ist ja immer was Besonderes ...) Also ist es ja nur selbstverständlich, dass ich es im Rahmen der Lieblingsbuch-Challenge noch einmal gelesen habe. Und zwar schon vor drei Monaten, aber verdammt, ich komm ja gar nicht mehr mit rezensieren hinterher ;-)

"Kein Applaus für Podmanitzki" ist eine Sammlung von Satiren, die sich samt und sonders um den Bereich Theater und Film drehen (mit kurzen Exkursen ins Hörspiel und das Musical), lose zusammengehalten durch den immer wieder auftretenden Jarden Podmanitzki, einen mittelmäßigen Schauspieler, der auf der Bühne nicht den Helden gibt, sondern den hinzurichtenden Volkstribun, dessen Zeilen meistens so gekürzt werden, dass er nur noch stumm über die Bühne stolpert, und der sich deshalb mit diversen anderen Engagements über Wasser halten muss. Diese Figur stolpert als Bindeglied durch eine Reihe von Satiren, verschwindet gelegentlich, um dann aber doch wieder wie ein Schachtelteufel aufzuploppen. Und auch, wenn er gar nicht genau beschrieben wird, hat man doch eine bestimmte Figur dazu vor Augen, einen Schauspieler jenseits des jugendlichen Liebhabers, der den Sprung zum Charakterdarsteller noch immer nicht geschafft hat ... Fast täte er einem Leid, wäre da nicht sein Hang zum Melodramatischen und zum Chargieren, mit dem er dem Publikum jedes Mal beweist, dass es ganz richtig tut mit seiner Einschätzung. Natürlich gibt es auch einige Auftritte der besten Ehefrau von allen (diesmal als bezaubernde Hexe, die den Gatten in die Arme einer alten Bühnenoma treibt)und dem Kritiker I.L.Kunststetter, dessen Willen zur bedingungslosen Vernichtung eines Schauspiels ungebrochen ist.

Die Bühne, so erklärt Kishon, ist ein gnadenloses Irrenhaus, bei dem selbst die Wärter verrückt sind - und das man deshalb einfach lieben muss. Er entführt seinen Leser mitten hinein in diese Welt der Kritiker und Kleinkünstler, setzt sie aus, bis ihnen ebenso schwindelig ist wie dem Erzähler, und holt sie immer wieder zurück auf den Boden der "so ist es wirklich"-Tatsachen. Sei es durch die Überlegungen eines wachsamen Intendanten, wie das nächste Stück durch geschickte Kritikerarrangements auf jeden Fall zum Erfolg wird oder die Beschreibung eines Chansons-Abends, bei dem das Publikum nicht im mindesten versteht, was da gesungen wird - man amüsiert sich einerseits über diesen Irrsinn, andererseits ahnt man, dass es tatsächlich so abgehen könnte hinter den Kulissen. Dabei schaut Kishon genau hin, legt den Finger in die Wunde der Kulturbetreibenden, die kein Geld haben, aber wahre Kunst machen wollen, und bleibt ganz bei seinen Figuren, die er nie vorführt, egal, wie seltsam sie sein mögen.

Was mich aber diesmal beim Lesen gestört hat (und was ich gar nicht mehr so auf dem Schirm hatte), ist die Tatsache, dass das Buch ja nur eine Sammlung völlig verschiedener Satiren ist. Jemand hat einfach alle Satiren zum Thema "Kulturbetrieb" zusammengestellt, einen hübschen Titel überlegt und fertig war das Buch. Blöderweise heißt das aber auch, dass sich hier doch einige Ideen wiederholen und immer wieder variiert werden, bis der Esel halb tot im Stall ankommt und dort in Form einer weiteren Variante den Gnadenschuss bekommt. Da wäre ein bisschen weniger viel mehr gewesen  aber nichtsdestotrotz fand ich es schön, mal wieder reingeschaut zu haben :-)

Samstag, 21. Juni 2014

[Hörbuch] "Täuscher" gelesen von Julia Fischer

Landshut, 1922. Die 32 Jahre alte Klavierlehrerin Clara Ganslmeier und ihre 77jährige Mutter werden in der gemeinsamen Wohnung bestialisch ermordet. Vermutlich ein Raubmord, so glaubt die Polizei zunächst, wird dann aber durch Zeugenaussagen auf einen anderen Verdächtigen gelenkt. Hubert Täuscher, Mitte 20, Sohn eines Bürstenfabrikaten und der Verlobte der Ganslmeier, soll hinter den Morden stecken. Zuzutrauen ist es ihm - denn nicht nur, dass er die gutbürgerliche Verlobte ausnimmt wie eine Weihnachtsgans, er hat auch noch in München eine andere sitzen, jünger, hübscher, leider ärmer. Tatsächlich wird Täuscher festgenommen und in einem spektakulären Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Soweit hält sich  die Handlung an die tatsächlichen Gerichtsakten und Presseberichte, die von der Autorin Andrea Maria Schenkel akribisch aufbereitet und literarisch verarbeitet werden. Doch sie geht einen Schritt weiter und erzählt über diesen Handlungsrahmen hinaus - düsterer, als von ihr gewohnt, bis zu einem Ende, bei dem man sich fragt, wieso es Menschen gibt, die immer auf den Füßen landen.

Als Hörbuch fand ich "Täuscher" sehr nett, mehr aber auch nicht. Das lag an der Geschichte.
Diese ist ganz typisch für Andrea Maria Schenkel: viel Lokalkolorit, viel Dialekt und Umgangssprache, oftmals kein Erzähler, sondern eine Collage aus Vernehmungsprotokollen, Gerichtsakten, Presseberichten, kurzen Erzählpassagen. Das ist beim Lesen bereits anstrengend, aber beim Hörbuch eine echte Herausforderung. Nicht nur, dass man sich darauf konzentrieren muss, wer jetzt was sagt, zusätzlich ist die Geschichte auch noch nicht chronologisch erzählt. Da gibt es Zeitsprünge zuhauf, mit deren Hilfe alles auf das doch einigermaßen spannende Ende hin entwickelt wird, aber so richtig packen will einen das Buch dadurch nicht. Vor allem dienen die Sprünge dazu, die Figur von Täuscher immer weiter zu charakterisieren und die Frage nach seiner Schuld zu wecken. Während die übrigen Figuren in ziemlichen Klischeekisten verweilen, ist zumindest Hubert eine sehr widersprüchliche Person. Traumatisiert von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg, ein Schöngeist, der nicht Vaters Fabrik übernehmen, sondern berühmt werden will. Einer, der nicht "nein" sagen kann, sondern mitgezogen wird von allem und dadurch in Situationen gerät, die er gar nicht haben wollte. Ein Meinungswechsler par excellence, ein arroganter Bengel - jeder sieht in ihm etwas anderes und nur das gesamte Buch bildet ihn vollständig ab.

Um dieser doch verwirrenden Erzählstruktur etwas entgegen zu setzen, muss man einen Sprecher haben, der zumindest sehr schnell beim Leser wachruft, wer denn da jetzt grade spricht. Julia Fischer gelingt das auch recht gut - ihr Stimmumfang ist nicht sooo facettenreich, aber zumindest schafft sie es, durch Betonungen und Lautstärke die Figuren unterscheidbar zu halten. Die Dialektpassagen klingen absolut authentisch, wodurch die Stärke des Hörbuchs betont wird, Lokalkolorit vor Augen zu führen. Mitunter sind mir aber die Erzählpassagen zu einförmig vorgetragen, so dass ich mich hier extrem konzentrieren musste. Für ein Hörbuch erwarte ich aber eindeutig mehr Vielfalt, die mich am Ball bleiben lässt. Die Tracks waren relativ lang gemessen am Umfang der Aufnahmen, zumindest aber in sich abgeschlossen, so dass es möglich war, die CD auch mal aus dem Auto mit in die Wohnung zu nehmen.

Fazit also: Hörbuch und Story okay, aber man muss sich nicht drauf stürzen und um jeden Preis haben.


[Buchgedanken] Thomas Brussig - Am kürzeren Ende der Sonnenallee

Michael Kuppisch ist 16 Jahre alt und verliebt. So, wie nahezu alle anderen 16-Jährigen, die Ende der Siebziger Jahre leben. Miriam heißt Mischas Angebetete und wie so oft ist auch Miriam ein unterreichbarer Stern. Denn sie steht nun einmal auf Westdeutsche, die mit den schicken Autos und den Taschen mit Geld - beides unerreichbare Ziele für Michael, der mit seinen Eltern, seiner Schwester und deren Ehemann in einer viel zu kleinen Wohnung in der Berliner Sonnenallee lebt. Die Mauer teilt die Straße in Ost und West, und die Kuppischs leben in der DDR. Während sich Michaels Freunde Mario von einer Existentialistin entjungfern lässt und Wuschel auf der Suche nach einer Original-LP der Rolling Stones in Bereiche vordringt, in die nicht einmal ein Abschnittsbevollmächtigter einfach so hinein darf, sucht Michael nach einer Möglichkeit, Miriam zu beeindrucken. Revolutionär müsste man halt sein ...

Das Buch, wusste ich vorher auch nicht, ist eigentlich der Roman zum Film "Sonnenallee", denn Brussig hat zusammen mit Leander Haussmann erst das Drehbuch geschrieben und dann alle anderen Ideen mit in den Roman gepackt. Dementsprechend handelt es sich hier eher um eine Sammlung kleiner Szenen, eine wirklich fortlaufende Handlung ist eher nicht gegeben. Eher ist das wie ein Fotoalbum, das man durchblättert, um immer wieder hängen zu bleiben und die Geschichte von Michael und Miriam ist eher eine Klammer, die das Paket zusammenhält, so wie der Clip an einem Fotoalbum, das bis zum Platzen gefüllt ist.Das ist einerseits das schöne an dem Buch, andererseits aber auch sehr nervig. Statt einfach einen Roman hat man hier eine Art Polaroidsammlung von "drüben", in dem man sich als Leser zurechtfinden muss. Das kann sehr nervig sein beim Lesen, denn wirklich ausgearbeitet sind die Figuren nicht. Es sind eher "Typen", die dir hier vorgesetzt werden, denen ich auch beim Lesen meistens gerne in ihr Leben gefolgt bin, aber hier und da fände ich ein wenig weniger Slapstick und ein wenig mehr Charakter ganz angenehm.

Brussig wurde oft vorgeworfen, in seiner DDR-Nostalgie die Schattenseiten zu vergessen und zu übertünchen. Es ist vermutlich dasselbe Prinzip, warum meine Freundin ihre DDR-Schulbücher nicht wegwerfen will und immer noch aus Prinzip eine Original-Sechziger-Jahre-Küchenaccessoires-Dichte ihr eigen nimmt, die das DDR-Museum erblassen lässt. In all der Aufarbeitung der DDR fehlt vielleicht vielen Menschen die Akzeptanz dessen, dass sie ihr Leben dort reichlich normal geführt haben. Nach der Wiedervereinigung wurde die DDR einfach so komplett übertüncht, dass auf der Nostalgieebene einmal das Leichte und Schöne daraus ausbricht und um Aufmerksamkeit ringt. Vielleicht auch deshalb, weil man den von Nina Hagen besungenen Farbfilm benötigt, um Dinge real und wirklich erscheinen zu lassen. Eine pure Negativzeichnung macht s uns nämlich zu einfach, uns zu distanzieren, so waren wir doch nicht und wären wir nie gewesen. Aber so jung, dumm und verliebt wie Mischa und Konsorten - das kennen wir doch alle ;-)

Samstag, 7. Juni 2014

[Plauderei] Bücher in meinem Regal

Bei bunte Worte bin ich heute über ein nettes Bild von Berfrois gestolpert, das mich aufs Regal hat schauen lassen ;-) Welche dieser Kategorien sind denn da eigentlich alle versammelt? Da der Tag heute ganz dem Buch gewidmet ist, hat es mich nicht losgelassen und ich habe direkt mal nach Bücher gesucht. Die ersten beiden Kategorien sind leicht, denn die findet ihr alle hier auf dem Blog versammelt :-p Aber der Rest?
 

 
Half-read:  J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe". Ich will es immer noch irgendwann richtig komplett lesen, aber ich habe es einfach nicht geschafft bislang und zehre daher von meinen Leseerinnerungen, als ich 16 war. Damals war ich so genervt von den endlosen Landschaften und Schlachten, dass ich ab Band 2 nur quergelesen habe ...
 
Pretend I've read: Gustav Schwab "Sagen des klassischen Altertums". Mein Wissen über griechische Sagen stammt aus vielen Quellen, aber sehr wenig aus Gustav Schwabs Klassiker. Ich finde ihn viel zu sperrig, um ihn genussvoll zu lesen, aber er macht sich so gut im Regal ;-)
 
Saving for when I have more time: "The Swan Thiefes" von Elizabeth Kostova. Ich fand ja "Der Historiker" wundervoll, aber ihr Stil will wirklich verdaut werden und im Moment habe ich so gar keine Zeit dafür
 
Will never read: Die gesammelten Sachbücher meines Mannes über das deutsche Kaiserreich, das ist einfach so gar nicht meine Tasse Tee.
 
Purely for Show: "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" von Hannah Arendt. Ich habe das Buch in einigen Kapiteln für meine Diplomarbeit gelesen, aber es vollständig mal so zu lesen? Nie im Leben. Aber es macht sich so gut in seiner vollen Breite ;-)
 
Read, but can't remember a single Thing about it: "Stadt aus Glas" von Paul Auster. Ich weiß noch, dass ich sehr irritiert war und mir Austers Stil so gar nicht zusagte, während meine Schwester ein totaler Fan geworden ist durch das Buch. Ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht doch nochmal einen Blick hineinwerfen sollte ...
 
Wish I hadn't read: Da habe ich keines im Regal. Denn diese Bücher landen so schnell an anderen Orten, die haben gar keine Zeit, sich irgendwo ein Plätzchen zu suchen :-)
 


[TAG] "Seite 44, Satz 3"-Geschichte

Gerade eben haben ich auf lullabys Bücherkiste einen Tag entdeckt, den ich unbedingt mit euch teilen will. Es geht relativ einfach: geh an dein Regal, suche dir wahllos 16 bis 20 Bücher aus und schlage beim ersten Buch Seite 44 auf. Suche den dritten Satz auf dieser Seite und schreibe ihn ab. Mach das so lange, bis du beim letzten Buch angelangt bist. Hier schlägst du die letzte Seite auf und schreibst den letzten Satz ab.

Dabei entstehen, mysteriöse, urkomische oder auch dem Wahnsinn nahe stehende Geschichten, die vor allem eins machen: Lust aufs Lesen :-)  Und da ich ja nett bin, dürft ihr gerne einfach so an diesem Tag teilnehmen - postet doch den Link hier, ich hab grade Lust auf Lesen.

Ich habe nicht geschummelt bei der folgenden Geschichte, also nicht extra nach Sätzen gesucht. Ich habe mir nur erlaubt, die gezogenen Sätze zu ordnen und Gedanken kursiv zu setzen. Ich bin wirklich doch ganz angetan, was hier rausgekommen ist :-)



Das Gehen der Schritte oben wurde lauter. Der kleine Chuck brachte ihr Wasser in einem Plastikbecher, das sie dankbar trank. Noch während er sie überrascht anschaute, mit offenem Mund und fragendem Blick, fasste sie ihn an der Hand und zog ihn zum Bett. Die eine Seite der großen schwarzen Pupille reflektierte einen kleinen Lichtfunken. Noch nie hatte jemand sie so unglücklich gemacht, so unsicher. Er hat nur vier Tage gebraucht, was nicht viel ist in dieser Zeit, ich meine, in einer Zeit, die so langsam vergeht. "Ich habe keine Schwierigkeiten mit Ihnen." Nichts. Catelyn hatte Übung im Warten.
An den Wänden standen Regale aus Eichenholz, die alle zehn Meter von Türen mit Milchglasscheiben unterbrochen wurden. Der See schaukelte ganz leise und spielte - plitsch, plitsch - am Ufer.
"Ich konnte dich schließlich nicht einfach da liegen lassen."
"Ja", räumte Crispin bereitwillig ein, "Jonah hat wieder einmal großartig gespielt."
Als sie ermordet wurde, trug sie einen grünen Rock, einen braunen Unterrock, eine lange schwarze Jacke, eine schwarze Haube und Knöpfstiefel, "alles alt", laut Polizeibericht.
Abgesehen von derlei Experimenten gab es Fälle von zufälliger Isolation - Kinder, die sich im Wald verirrten, Seeleute, die auf Inseln ausgesetzt wurden - und die Fälle grausamer, sadistischer Eltern, die ihre Kinder aus keinem anderen Grund als unter dem Zwang ihres eigenen Wahnsinns einsperrten, an Betten ketteten, in Kammern prügelten und marterten. So hatten sie ihn noch nie erlebt. Was Sie betrifft, bin ich mir da nicht ganz so sicher.