Sonntag, 24. August 2014

[Buchgedanken] David Sedaris - Sprechen wir über Eulen - und Diabetes

Ich habe wirklich sehr lange warten müssen, bis ich endlich wieder einmal von meinem Lieblingsautor gehört habe. David Sedaris ist der Held meiner Teenagerzeit, seit ich mit 17 zum ersten Mal "Nackt" gelesen habe, wirklich gefangen hat er mich dann mit "Ich ein Tag sprechen hübsch". Seitdem muss ich automatisch jedes Buch besitzen, auf dem sein Name steht, und ich überlege ernsthaft, ein Abo des New Yorker zu erwarben, in dem er immer wieder veröffentlicht. Dementsprechend bin ich natürlich sehr, sehr voreingenommen, was das neue Werk betrifft ... Aber zurück zum Buch ;-)

Eigentlich gefiel es mir wirklich sehr gut, allerdings sollte man es sich doch eher auf Englisch besorgen. Da ich zwei der Geschichten im Original kenne, konnte ich hier ein bisschen sehen, dass der Übersetzer zwar ganz okay gearbeitet hat, die absurde Sprachkunst von Sedaris aber einfach nicht hingekriegt hat, und das erklärt vielleicht den Smilie in der Bewertung am besten. Das Buch versammelt zunächst einmal viele Impressionen aus dem Leben des David S., in denen er absurde Begebenheiten des Alltags aufgreift, darüber reflektiert, sie auf die Spitze treibt. Es gibt ein Wiedersehen mit der chaotischen, verrückten und nichtsdestotrotz liebenswerten Familie Sedaris, mit Davids Langzeitlebenspartner Hugh (grade eben habe ich auf Facebook gelesen, sie sind seit 23 Jahren ein Paar :-) ) und es gibt dazwischen auch einige "nicht-David"-Geschichten, in denen aus der Sicht von Teenagern, einer Tea-Party-Anhängerin und anderen Leuten geschrieben wird, deren Weltsichten auch nicht viel verquerer sind als in den restlichen Geschichten. Obwohl, vielleicht doch ein kleines bisschen ...

Man muss sich auf das Buch einlassen, habe ich festgestellt, nachdem ich es voller Begeisterung anderen Leuten ausgeliehen habe. Einfach nur ein bisschen unterhalten wird man bei Sedaris selten, dazu sind bei ihm Triumph und Tragödie zu nahe beieinander. Aber wenn man es tut, wird man wirklich belohnt mit einem berührenden Buch. Berührend beim Lachen, beim Nachdenken, beim Kopfschütteln - man wird es sicher nicht zuklappen und es danach komplett vergessen ;-)

[Buchgedanken] Jeffrey Deaver - Todeszimmer

Als der Aktivist Roberto Morano auf den Bahamas in seinem Hotelzimmer erschossen wird, steht schnell fest: er muss sich mit Drogenkartellen eingelassen haben und wurde aus dem Weg geräumt. Doch die Staatsanwältin Nance Laurel glaubt das nicht und bittet Lincoln Rhyme um Hilfe. Ihr wurden Dokumente zugespielt, dass Morano im Auftrag der amerikanischen Regierung von einem Geheimdienst beseitigt wurde, da er als Terrorist gehandelt wurde - wobei die Beweise seiner Terrorbereitschaft gefälscht wurden. Lincoln Rhyme und Amelia Sachs ermitteln mit ihrem kleinen Team fast undercover, denn eine Anklage gegen den Chef der Nationalen Sicherheitsbehörde vorzubereiten ist etwas, was nicht unbedingt Freunde schafft. Und in der Tat gibt es jemanden, der dabei ist, die Zeugen des Attentats zu töten - und dieser Jemand ist Amelia Sachs gefährlich nahe ...

Mit "Todeszimmer" packt Deaver ein heißes Eisen an, nämlich die Frage nach der Berechtigung von gezielten Anschlägen auf Terrorverdächtige. Darf ein Staat Menschen prophylaktisch töten? Diese Diskussion ist im Ansatz vorhanden, wird aber leider nicht völlig zuende geführt und an vielen Fällen verschenkt. Zu sehr sieht man im ganzen Buch die Bedenken des Autors, auch nur im Ansatz eine Meinung durchscheinen zu lassen, die die US-amerikanische Regierungshaltung schärfer zu kritisieren als nur ein bisschen durch die Blume. Deshalb wird dann am Ende auch an der Deaver-typischen Plottwist-Schraube so lange gedreht, bis sie fast schon aus dem Gewinde bricht (und das von mir, die ich Deavers Twist-Vorlagen einfach genial finde um immer wieder mit Vergnügen darauf reinfalle!) - und das alles nur, damit man doch noch etwas anderes präsentieren kann als das, was vielleicht ganz interessant zu diskutieren wäre ... Es sind wirklich nur die letzten dreißig Seiten, die sich Deaver hätte sparen müssen, um das Buch für mich extrem überzeugend zu machen, denn bis dahin kommen einfach so viele verschiedene Aspekte eines hochmoralischen Themas im Buch vor, wie ich es nicht erwartet hätte.

Die Figurenzeichnung ist wieder einmal ein wenig klischeehaft in den nicht-dauerhaften Figuren, dafür aber wird die Geschichte rund um Amelia und Lincoln wieder vorangetrieben. Lustigerweise habe ich kurz bevor ich das Buch gelesen habe einer Freundin von der Reihe vorgeschwärmt und ihre ersten Bedenken waren "Aber die kommen doch nicht zusammen, oder?", was ich dann mit "Doch, aber das dient alles der Geschichte, die werden dadurch immer wieder neu charakterisiert" entkräften konnte. In diesem Buch sind vor allem wieder Lincolns Wunsch nach Operationen und Amelias zunehmende Verschleißerscheinungen ein immer wiederkehrendes Motiv, die auch zur Frage führen, wie viel Gesundheit ein Mensch braucht und wo der schmale Grad zwischen Gesundheit und Krankheit genau definiert wird. Ich bin vor allem gespannt, was in dem grade auf Englisch erschienenen elften Band da noch auf mich zukommt.

Alles in allem ist das jetzt nicht der beste Band der Reihe, aber zumindest ist mein Dreamteam ENDLICH zurück auf den Seiten und wie haben hier immer noch einen Thriller mit einigen erstklassigen Plottwists, die sehr viel Spaß machen ;-)

Samstag, 16. August 2014

[Buchgedanken] Ulrike Edschmid - Das Verschwinden des Philip S.

Philip S. kommt als Student aus der Schweiz nach Deutschland. Sohn aus gutem Hause, Erziehung durch Kindermädchen und vermögende Eltern, wirkt er als Filmstudent im Berlin der 68er wie ein Fremdkörper und fügt sich gleichzeitig perfekt ein in diese Welt. Seine Freundin und er ziehen schnell zusammen und Philip wird zum Ersatzvater ihres Sohnes. Beide verbringen die Nächte mit Diskussionen über Kommunismus, Philosophie, die Ungerechtigkeit des Staates - und irgendwann ist man mit dabei bei den Demonstrationen gegen den Springer-Verlag, bei den Steinwürfen auf Polizisten. Und dann steht plötzlich die Polizei morgens in deinem Schlafzimmer und durchsucht deine Wohnung, verhaftet dich wegen des Verdachts, ein Terrorist zu sein. Während sie die Notbremse zieht, entscheidet sich Philip S. für das gegenteil - er wird noch radikaler, wagt den Schritt in den Untergrund und den Terrorismus. Bis er 1974 bei einer Fahrzeugkontrolle einen Polizisten erschießt und dabei selbst erschossen wird ...

"Das Verschwinden des Philip S." ist schwer zu beschreiben. Ein Tatsachenroman? Eine Reflexion? Es ist von allem ein bisschen was und nichts ganz. Die Autorin ist die besagte Freundin von Philip S., die nach vierzig Jahren versucht, sich selbst eine Antwort darauf zu geben, warum er zum Terroristen wurde, warum er und nicht sie. Ihn fragen kann man nicht mehr, so bleibt sie die Antwort mehr oder weniger schuldig, sie schildert nur das langsame Abgleiten, das irritierende Anderswerden. Besonders fasziniert hat mich, dass sie ihre eigene Rolle einerseits hinterfragt, andererseits aber auch nicht diskutiert - dass sie sich z.B. weiterhin mit Philip trifft, auch als klar ist, dass er eben nicht mehr ein "Worttäter" ist, sondern nachdem er an den ersten Anschlägen beteiligt war. Das Buch wirft mehr Fragen auf, als es Antworten bietet, genau das finde ich aber sehr spannend daran und werde es auf jeden Fall noch ein bisschen in meinem Regal stehen lassen ...

Sonntag, 10. August 2014

[Lebenszeichen] Da bin ich dann mal wieder ;-)

Uff, ich hätte nie gedacht, dass der letzte nicht vorgepostete Blogbeitrag schon wieder so lange her ist. Aber zusätzlich zu ein paar privaten Stressfaktoren kam seit Mai bei mir die erste Abschlussprüfung meines Lebens dazu, die ich abnehmen durfte. Inklusive mündliche Prüfungen in vier verschiedenen Fächern und jeder Menge Arbeit führten dazu, dass ich erst einmal den Blog nach hinten geschoben habe. Vor allem aber führten sie dazu, zwei ganze Monate nicht lesen zu können. Also wirklich so gar nicht. Ich hatte einfach keine Zeit. Dass die Arbeit dazu führen wird, dass ich weniger lesen kann, war mir von Anfang an klar, aber über diese Entwicklung war ich dann doch ziemlich erstaunt ... Immerhin habe ich dann meinen Geburtstag für einen kleinen Ausflug in den Süden genutzt und die Stadtbibliothek meines Herzens aufgesucht - und mit vollen Körben verlassen. Meine ???-Leidenschaft wurde wieder einmal voll befriedigt, aber auch etliches andere an Druckmaterial wurde in einer Woche geradezu aufgesogen und wartet nur darauf, hier besprochen zu werden. Ich hoffe, ab nächstem Wochenende ein bisschen mehr Zeit feigeschaufelt zu bekommen :-)

Dementsprechend liegt auch ein größeres Blogprojekt brach, dass ich eigentlich ab September starten wollte. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, ich werde das auf jeden Fall weiter im Kopf behalten und dafür fleißig lesen!

Ich wünsche euch erst einmal einen schönen Restsommer und viele gute Bücher auf dem Weg in den Herbst :-)

Montag, 4. August 2014

[Buchgedanken] Lucy Maud Montgomery - Anne auf Green Gables

Es gibt Bücher, die haben mich in meiner Kindheit so lange begleitet, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich ohne sie ausgekommen bin. "Anne auf Green Gables" ist so ein Fall, eine Geschichte aus der Jahrhundertwende auf der kleinen kanadischen Insel Prince Edward Island.

Anne Shirley ist elf Jahre alt, hat karottenrotes Haar und den Kopf irgendwo in den Wolken. Sie ist Waise und landet durch einen Zufall bei Marilla und Matthew Cuthbert, einem alten Geschwisterpaar, das einen Jungen adoptieren wollte, der ihnen auf ihrer Farm Green Gables zur Hand geht. Zumindest sind die beiden fair und geben dem Mädchen eine Chance, sich zu beweisen - und damit zieht in Green Gables ein Wesen ein, wie man es nie erwartet hätte. Annes Träumereien und erfundene Geschichten begleiten den Leser durch den ersten Band, wir werden Zeuge von ganz alltäglichem Chaos einer Heranwachsenden (wie dem Versuch, sich die ungeliebten Haare zu bleichen) und dem Aufeinanderprallen von Erziehungsstilen (Annes Versuch, sich bei der Nachbarin Rachel Lynnde zu entschuldigen), von erster Liebe und urkomischen Szenen (als Anne ihre beste Freundin Diane versehentlich mit Alkohol statt Beerensaft abfüllt). In den folgenden Jahren begleiten wir Anne auf das College nach Kingston und in ihre erste Stelle als Lehrerin, werde Zeugen einer Hochzeit (ausgerechnet mit Gilbert Blythe, dem Anne im ersten Band eine Schultafel auf den Kopf zerbricht, als er sich über ihre Haare lustig macht!) und sehen Annes Kindern beim Aufwachsen zu. Wir erleben rührende Szenen und Momente der Trauer, und über all dem schwingt ein Geruch nach Ahornsirup und frischen Brötchen, nach Kindheit und Unbeschwertheit mit. Und das, obwohl die Geschichte rund hundert Jahre vor unserer eigenen Kindheit spielt - das soll man Lucy Maud Montgomery mal nachmachen!

Ich habe die Bücher auf deutsch gelesen und dann auch im englischen Original. Das lohnt sich allein schon deshalb, weil "Rainbow Valley", der siebte Band, nie auf Deutsch veröffentlich wurde. Auch in ihm spielen Annes Kinder die Hauptrollen, die wir schon in "Anne in Ingleside" kennengelernt haben, und ich bin immer wieder bezaubert und gerührt. So kitschig manches im Buch auch anmutet, es ist nie zuviel, wird abgefedert durch andere Situationen, in denen man sich ausschütteln will vor Lachen. Es gibt eine Stelle, an der ich, seit ich sie zum ersten Mal gelesen habe, weinen muss, egal wie vorbereitet ich darauf bin. Montgomery ist eine starke Szenenerzählerin, insgesamt sind die Bücher eine Sammlung von bezaubernden Einzelepisoden, ganz wie ein guter Rückblick auf das Leben, das sich im "weißt du noch, als ..." verliert und dem man gerne folgt in diese Erinnerungen.