Montag, 25. Mai 2015

[Buchgedanken] Marina Lewycka - Caravan

Sie sind fünf Frauen und drei Männer aus aller Herren Länder - China, Malaysia, Polen, der Ukraine und Malawi. Aber sie alle arbeiten als Erdbeerpflücker bei einem englischen Bauern. Saisonarbeitskräfte, wie man sie zu Hunderten sieht. Sie alle haben unterschiedliche Vorstellungen und Träume. Da sind die beiden Asiatinnen, die ihr Studium finanzieren wollen. Oder die Polin Jola, eine resolute Vorarbeiterin, die ihren behinderten Sohn alleine erzieht und dafür im Ausland mehr Geld verdient. Oder ihre Nichte Marta, eine gottesfürchtige junge Frau, die von ihrer Familie mitgeschickt wird, um der Tante beizustehen. Thomasz, der eigentlich mal einen Posten in der Stadtverwaltung hatte und vom Aussteigerleben träumt. Andrej, der Ukrainer, der eigentlich von einer englischen Jugendliebe träumt . Und dann ist da noch die Neue, die in den Frauencaravan einzieht und mit der das ganze Elend beginnt. Plötzlich liegt der Bauer überfahren auf dem Erdbeerfeld und die ganze Truppe macht sich, verfolgt von einem Arbeitsvermittler und einem obskuren Personalvermittler auf eine Odyssee nach Dover. Oder doch nach Sheffield? ...

Ich bin jedes Mal, wenn ich etwas von Marina Lewycka lese, wieder irritiert. In der Aufmachung und dem Klappentext klingen die Bücher immer so frisch, fröhlich und nach viel Witz.. Aber das sind sie nun einmal so gar nicht. Lewycka ist eine brillante Beobachterin der Gegenwart, die hinter ihrer vordergründigen Fabulierlust ein Händchen dafür hat, Charaktere zu schaffen, die verschiedene Ebenen besitzen und deren Hintergrundgeschichte Erklärung liefert für ihre Handlungen innerhalb der Story. Und vor allem sind ihre Bücher voller Sozialkritik, ganz ohne Romantik und Nettigkeit - man muss nur schaffen, nicht nur den "simplen" Stil der Darstellung zu lesen, sondern sich Gedanken darüber machen.

"Caravan" ist eine Darstellung des Schicksals der sonst so anonym bleibenden Saisonarbeitskräfte. Ob es sich um Spargelstecher, Erdbeerpflücker oder Schlachthausmitarbeiter handelt. Und dabei werden keineswegs nette Bilder gezeichnet - die Szenen im Schlachthaus und der Hühnerfarm werden so stark geschildert, dass ich grade nicht mehr wirklich das Bedürfnis auf Fleisch verspüre (und das, wo wir sowieso schon nur vom Biobauern holen)! Auch das Schicksal der beiden Asiatinnen, so wenig darüber auch geschrieben wird, steht eindeutig vor den Augen - wie solle s auch anders kommen?

Nichtsdestotrotz werden die Figuren nicht nur dem Elend ausgesetzt, sie haben durch ihr Festhalten an Träumen und ihre Geschichte, so unwahrscheinlich sie auch sein mag, das Zeug dazu, sich mit ihnen sofort zu identifizieren. Jede Figur erzählt einen Abschnitt in einer ihr eigenen Sprache und einem ihr eigenen Stil, das fand ich beim Lesen zunächst verwirrend, dann aber auch sehr faszinierend. Die Seiten fliegen nur so vorbei beim Lesen, man will einfach wissen, was passiert. Also eine klare Empfehlung :-)

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