Montag, 27. Juli 2015

[Buchgedanken] Katherine Webb - Das fremde Mädchen

Bath im Jahr 1821. Die Gouvernante Rachel gilt mit 29 schon fast als alte Jungfer, doch hat sie durch den Bankrott ihres Vaters und den Tod ihrer Eltern vor einigen Jahren die Hoffnung auf eine standesgemäße Partie aufgegeben. Als der Weinhändler Weekes ihr einen Antrag macht, nimmt sie ihn dankbar an, wohl wissend, dass er sich von ihr in erster Linie Geschäftskontakte verspricht. Schließlich erhalten sie auch Eingang ins Haus der Familie Alleyn, wo Rachel schon bald als Gesellschafterin für den Sohn des Hauses eingestellt wird. Jonathan Alleyn ist nicht nur durch den Krieg 1809 schwer traumatisiert, sondern durch den Verlust seiner Jugendliebe Alice, dem Mündel seines Großvaters, die ihn in eben diesem Jahr plötzlich sitzenließ. Starling, das Küchenmädchen der Alleyns, scheint eine besondere Beziehung die Alice gehabt zu haben, und hasst Jonathan seit Alice Verschwinden. Rachel beginnt sich mehr und mehr in die Geschichte hineinziehen zu lassen und will selbst wissen, was vor zwanzig Jahren geschah ...

Katherine Webb ist ja, neben Kate Morton, der große Name im Bereich des "düstere Vergangenheit wirft lange Schatten"-Romans. Wobei ich immer finde, dass Webb da eher die seichteren Gemüter befriedigt, ihre Romane sind immer schon sehr an der Grenze zum Kitsch angesiedelt. Auch in "Das fremde Mädchen" finden sich so ziemlich alle Zutaten eines Klischeecocktails, die permanent geschüttelt werden. Wirklich überraschend war für mich effektiv kaum etwas am Roman, man hatte so von Anfang an Vermutungen, die auch jedes Mal bestätigt wurden, einzig und allein der wahre Täter war dann doch etwas überraschend, aber eben auch sehr naheliegend. "Seicht" trifft es vielleicht am besten, wie dieses Buch auf mich gewirkt hat beim Lesen, viele eigentlich sehr interessante Beweggründe von Figuren werden nur mal so knapp am Rand genannt, statt sie auszubauen. Die gesamte Story und Rachels Zwillingsschwester ist ein bisschen absurd und wird effektiv nie wirklich ausgebaut, es ist eher, als hätte auch die Autorin gerafft, dass man Rachels Neugier begründen muss - aber so? Spannend sind hier natürlich auf jeden Fall die Passagen über Jonathans Kriegserlebnisse, aber auch hier finde ich, dass es schon viel zu viel ist, was ihn alles traumatisiert - hätte man da nicht nur eine oder zwei Sachen nehmen können?

Was mich aber beim Buch mehr gestört hat, war, dass ich nicht wirklich mit den Figuren warm geworden bin. Sie waren mir samt und sonders zu holzschnittartig und unüberraschend. Insbesondere die ach so gute, ach so verklärte Alice ging mit beim Lesen zunehmend auf den Senkel und ich frage mich, ob sie wirklich so naiv sein muss wie hier dargestellt. Auch Rachel und ihre rührende Unschuld sind schon sehr behütet, ich hätte mir eine kleine Prise mehr Pfeffer in ihr gewünscht. Einzig Starling ist für mich zumindest eine interessante Figur mit Ecken und Kanten, die aber schon so stark gezeichnet sind, dass sie eher abschrecken. Gesamt gilt: ein unterhaltsames Buch, klar. Aber eben nicht ganz so stark wie andere Romane in diesem Genre.

[Buchgedanken] Akif Pirincci - Felidae

Kater Francis und sein Herrchen Gustav sind umgezogen. Während sich Gustav, hauptberuflich Autor von Frauenzeitschriftsromanen, voller Elan in die Renovierung der dreistöckigen Bruchbude stürzt, stolpert Francis im Garten über einen tödlich verletzten Artgenossen. Nicht etwa ein Mensch hat den Kater getötet, sondern eine andere Katze. Francis Spürsinn ist geweckt und gemeinsam mit dem ramponierten Kater Blaubart und dem computeraffinen Pascal nimmt die Spürnase die Ermittlungen auf. Was ist es für eine seltsame neue Katzenrasse, die sich gerade in der Nachbarschaft ausbreitet? Was hat es mit der seltsamen Claudandus-Sekte auf sich, der die Katzen huldigen? Wer ist Professor Preterius, über dessen Tagebuch Francis im Keller stolpert? Während der Mörder immer wieder zuschlägt, dringt Francis immer tiefer in die Geheimnisse der Nachbarschaft ein ...

Dieses Buch hat schon 25 Jahre auf dem Buckel? Wahnsinn, hätte ich nicht gedacht, mir ist, als hätte ich es gestern erst gelesen. Ich mag "Felidae" sowohl als einen funktionierenden Krimi als auch als ein Versuch, konsequent eine Tiersicht einzuhalten, die dem Leser gleichzeitig vor Augen führt, dass unsere selbstempfundene Überlegenheit über das Tierreich nicht automatisch zutrifft.

Der Krimi selbst wird spannend erzählt. Es ist ein ganz klassisches Thrillermuster mit der Jagd nach einem Serienmörder, angereichert mit einigen esoterischen Ausbrüchen und vor allem Francis seltsamen Träumen, die sich am Ende gut einfügen, bei denen man sich aber auch fragt, wie zur Hölle er diese Informationen im Unterbewusstsein hat, während er im Alltag nicht darauf zugreifen kann. Das ist das einzige, was mich so ein bisschen stört, es wirkt ein bisschen wie Seitenschinderei. Andererseits hat man als Leser so noch zusätzliche Anhaltspunkte, die einem beim Selbstkombinieren helfen könnten :-D  Besonders gefallen haben mir die Kathencharaktere, die so unterschiedlich geraten sind. Blaubart, der ein altgedienter Brummbär mit Knodderschnauze ist, Pascal, immer ein bisschen überbesorgt um Gäste und clever wie keine andere Katze, und vor allem Francis. Arrogant, selbstverliebt und irgendwie typisch Katze, respektlos gegenüber seinem Herrchen und trotzdem von tiefer Achtung erfüllt. Seine Erzählerstimme ist es, die mich beim Lesen hält und die mich durch die wahnsinnigen Abgründe führt, die sich hinter der Geschichte verbergen. Ich mag diese Perspektive auf vier Pfoten, die für mich ungewohnt ist, andererseits aber sehr realistisch und glaubhaft vermittelt wird. Diese Katzen haben keine Superkräfte, sondern nur ihre eigenen, und trotzdem sind sie als Ermittler hervorragend geeignet. Ein spannender Krimi, den man mal wieder lesen sollte ;-)

Freitag, 24. Juli 2015

[Buchgedanken] Ferdinand von Schirach - Verbrechen

Verbrecher - das sind die, die im Gerichtssaal neben dem Rechtsanwalt sitzen. Verbrechen, dass ist das, was sie getan haben.
Diese simple Gleichung will Ferdinand von Schirach in seinen Kurzgeschichten aufbrechen und hinter die Fassade des Falles blicken. Dabei ist es keineswegs so - wie das Buch und die Tatsache, dass von Schirach selbst Rechtsanwalt ist und hier ein Rechtsanwalt als Ich-Erzähler auftritt, suggerieren - dass es hier Tatsachenberichte sind. Maximal inspiriert von der Realität sind diese Geschichten, in denen Menschen zu Tätern oder zu Opfern werden oder vielleicht gleichzeitig beides sind. Sei es die Geschichte des Arztes, der seine Frau einfach nicht verlassen kann; oder der sympathische Bankräuber, dem die Schöffen am Ende das Flugticket bezahlen; oder meine Lieblingsgeschichte von den neun libanisischen Brüdern, bei denen schon bald klar wird, dass Körperkraft immer von Cleverness geschlagen werden wird - sie alle hinterfragen immer auch die Vorstellungen unseres Rechtssystems, ohne aber wirklich eine Antwort zu liefern. Das ist am Anfang befremdlich, nichtsdestotrotz liest man weiter.

 Das Buch ist schnell gelesen, regt hier und da zum Nachdenken an, aber mir persönlich fehlt da etwas, um trotzdem einen Gewinn aus dem Buch gezogen zu haben. Ich werde nicht warm mit dem Aufbau mancher Geschichten. Mir fehlte der Zugang zu den philosophisch-rechtlichen Fragestellungen dahinter. Mein Juristen-Gatte dagegen ist total gefesselt von den Büchern. Ich habe trozdem weitergelesen.

Dieses Weiterlesen liegt in erster Linie an von Schirachs Erzählkunst. Knpe, klare Sätze ohne große Verzierungen zeichnen ihn aus. Die Dialoge sind lebendig und glaubwürdig, die Einmischungen des Ich-Erzählers dienen vor allem zur Erklärung und weniger dazu, den Anwalt in den Vordergrund zu stellen. Es geht um die Fälle an sich und darum, wie sich durch ein klein wenig mehr Beachtung der Frage nach dem "Warum" ganz andere Ergebnisse liefern. Warum bringt jemand nach dreißig Jahren Ehe seine Frau um? Die Antwort des Lesers kann am Ende lauten: "Ich frag mich eher, warum er dreißig Jahre dazu gebraucht hat."

[Buchgedanken] P.G. Wodehouse - Piccadilly Jim

Jimmy Crocker ist Amerikaner und als solcher ein prinzipiell lebenslustiger Endzwanziger, der das Vermögen seines Vaters genießt und dessen halbherzige Versuche, als Journalist zu arbeiten, meistens in einer Katastrophe enden. Dumm nur, dass seine Stiefmutter die ganze Familie nach London verfrachtet, weil sie sich in den Kopf gesetzt hat, dass ihr Mann einen Adelstitel bekommen soll. Jimmys nächtliche Eskapaden rufen jedoch seine tante auf den Plan, die um ihre Reputation in New York fürchtet, wo Jimmy als "Piccadilly Jim" die Schlagzeilen sprengt. Gemeinsam mit Ehemann, verweichlichtem Söhnchen und attraktiver Nichte reist sie an, um Jimmy zurückzuholen - und setzt damit eine Verwechslungskomödie in Gang, die ihr Ende in New York findet, wenn Jimmy als Jimmy-Double in eine Entführungsfarce und zwischen verhinderte Wissenschaftler gerät ...

P.G. Wodehouse ist ein Autor, den man liebt, oder noch nicht kennt. So einfach ist das. Seine Romane sind nicht nur erschreckend komisch, sondern vor allem so liebevoll und mit so viel Sprachwitz geschrieben, dass die Zeit dabei wie im Flug vergeht. "Piccadilly Jim" war mein Sport-Buch in diesem Monat - zumindest für zwei Tage, dann war es auch schon durch. Es ist rasant und mit so vielen haarsträubend-komischen Einfällen versehen, dass man einfach weiterlesen will. Das Buch schreit geradezu nach einer Verfilmung - die es auch geht - denn es ist eine Screwball-Komödie vom Feinsten. Ständig neue Verwicklungen, ständig neue Twists, die die Protagisten ins Chaos stürzen; und am Ende ist ggar nicht mehr klar, wer denn nun wer ist. Falsche Butler, falsche Dienstmädchen, falsche Jimmys und falsche Freunde - das klingt nach wenig Witz, wird aber so urkomisch geschildert und vorangetrieben, dass man sich beim Showdown zufrieden zurücklehnt und gemeinsam mit der Detektivin murmeln möchte, dass die doch wirklich alle einen Schaden haben in der Familie :-)

Mittwoch, 22. Juli 2015

Buchgedanken] Michale Klüpfer/Volker Kobr - Grimmbart

Es hätte so ein schöner Abend werden sollen, aber dann erhält Kluftinger einen Anruf ausgerechnet von seinem Intimfeind Langhammer - im Schloss derer von Rothenberg Grimmbarths sei etwas passiert, ob Kluftinger nicht mal nachschauen .... Kaum eingetroffen, stolpert der Kommissar auch schon über die tote Schlossherrin, ein wertvolles Gemälde ist verschwunden und die im von der Gemeinde betriebenen Gästehaus Einquartierten benehmen sich ziemlich seltsam.Schnell steht fest: da stimmt was ganz gehörig nicht auf dem Schloss. Welche Geheimnisse gehen im schlosseigenen Märchenwald vor sich? Und diese Frage soll Kluftinger lösen, während er parallel die neue Vorgesetzte an der Backe hat, die unbedingt Schießübungen sehen will, und sich die baldige Verwandtschaft aus Japan angekündigt hat. Denn Kluftingers Markus wird endlich unter die Haube kommen - interkulturelle Tollpatschigkeiten des baldigen Schwiegervaters inklusive ...

Er war nicht so schlecht wie der letzte, das muss man ganz klar sagen. Die Autoren machen nicht mehr den Fehler, den alten Klufti nur noch dämlich wirken zu lassen - im gegenteil er wirkt ja fast schon reif und überlegt in seiner Grnatligkeit und seinem Bemühen, alles richtgig machen zu wollen und dabei immer wieder ins Fettnäpfchen zu treten. Den Kluftinger hier mag ich echt gern, endlich versteht man mal wieder, wie er es geschafft hat, Kommissar zu werden. Sogar die doch recht kindische Scvhießplatzgeschichte wirkt lustig und nicht so übertrieben, passt ins Bild und unterhält. Ich mag vor allem die langsame Annäherung an den japanischen Besucher, wie die beiden jeden Morgen glücklich ihre Semmel mampfend und völlig ohne sprechen im Wohnzimmer sitzen - das ist schon irgendwie niedlich.

Wenn sich die zwei Autoren doch jetzt nur noch drauf besinnen würden, auch einen vernünftigen Kriminalfall zu schreiben. Denn mal ehrlich, der hier hat ja gute Ansätze, geht aber am Ende total in die Hose mit dieser doch recht haarsträubenden Geschichte eines Hänsel-und-Gretel-Motivs. Also da kann man eindeutig mehr rauholen und logischere Lösungen bieten. Genau deshalb hat mich das Buch auch nicht vollständig überzeugt, für einen Krimi ist es denkbar doof und um Originalität bemüht. Schade eigentlich - aber wenn sie so weitermachen, wird es vielleicht beim nächsten was ;-)

Dienstag, 21. Juli 2015

[Buchgedanken] Leonie Swann - Glennkill

Das Leben im irischen Städtchen Glennkill könnte so schön für die Schafherde von Schäfer George sein. Nachmittägliches Vorlesen und jede Menge saftiges Gras - was will man mehr? Doch dann liegt eines Mrogens Schäfer George tot auf dem Feld, mit einem Spaten aufgespießt. So viel Verbrechen ist für eine Schafsherde kaum zu verstehen - aber zum Glück gehört Miss Maple zur Herde, das klügste Schaf der Gegend. Und sie setzt sich in den Wollkopf, Georges Tod aufzuklären, gemeisnam mit der restlichen Herde. Zwar sind Schafe naturgemäß nicht die geborenen verdeckten Ermittler und die begrenzte Weidewelt nicht unbedingt die beste Vorbereitung auf die Verstrickungen der Menschen, doch ein Schafverstand vermag manchmal mehr Dinge zu fassen als gewöhnliche Menschen ...

Ich habe "Glennkill" von Jahren schon einmal gelesen und mich an absolut nichts erinnert - das spricht nicht unebdingt dafür, dass es ein prägender Krimi ist. Und in der Tat habe ich beim jetzigen Lesen bereits während des Lesens vergessen, was da alles steht. Vielleicht sind die Schafe ansteckend, vielleicht ist es aber auch einfach so, dass die ganz niedliche Ausgangsidee sich sehr schnell totläuft, weil man sich viel zu viele Dinge selbst erschließen muss, die einem aus Schafsicht geschildert werden und manchmal eine ziemliche Kombinationsgabe erfordern. Mich hat es so ab der Hälfte ziemlich angeödet, diese Schafperspektive, die am nächsten Kleeblatt effektiv aufhört (auch, wenn die Methode dennoch dazu führt, den Fall zumindest im Groben zu lösen). Noch genervter war ich von dieser ganzen Melmoth-Sache, mir wird da viel zu viel angedeutet, während der Rest unklar bleibt. Die ganze Geschichte hat nette Ideen, aber letztlich machen die Schafe nichts großartiges, sondern kauen Gras und Blätter, philosophieren über Abgründe und Wolkenschafe ... mir fehlt da eine wichtige Zutat zu einem Krimi, nämlich Spannung. Aber Spannung, das zumindest habe ich gelernt, finden Schafe nicht unbedingt so gut wie ich.

Montag, 20. Juli 2015

[Buchgedanken] Arno Strobel - Das Dorf

Bastian Thanner erhält eines frühen Morgens einen verstörenden Anruf. Seine Exfreundin Anna, die sich vor zwei Monaten Hals über Kopf von ihm getrennt hat, wispert den Namen eines Dorfes und dass sie dort verfolgt wird und um ihr Leben fürchtet. Dann bricht die Verbindung ab. Die Polizei geht Bastians Meinung nach nicht gründlich genug vor, und so macht er sich mit seinem Freund Safi auf den Weg ins Mecklenburgische Flachland, wo einsame und verlassene Dörfer sich aneinanderreihen. Doch angekommen in Frundow schwört jeder der Einwohner, Anna noch nie gesehen zu haben - bis auf eine seltsame Frau. Bastian stößt auf seiner Suche immer tiefer in die Geheimnisse des Dorfs vor udn wieß bald selbst nicht mehr, wor Relität anfängt und Wahnvorstellungen beginnen ...

Ich habe dieses Buch gestern auf einer Autobahnfahrt vernichtet, Denn, und das ist der großem riesige Vorteil dieses Buchs: es ist unglaublich temporeich und nimmt den Leser von Seite eins an mit auf eine Reise, bei der sehr lange unklar ist, wohin sie am Ende führt. Ich wollte einfach wissen,w as in diesem kleinen Kaff jetzt wirklich vor sich geht, welche Auflösung Strobel bietet - und ich war am Ende gleichzeitig nicht enttäuscht (furiose Auflösung) und enttäuscht (die Wahrscheinlichkeit dieser Auflösung tendiert gegen Null). Bei amazon habe ich mal ein bisschen quergelesen in den Rezensionen und wurde in diesem Empfinden bestätigt - man liebt das Buch oder man hasst es, die Sternwertungen dazwischen gibt es deutlich weniger. Aber mal ehrlich: mit 'nem amerikanischen Autor wäre das vielleicht gar nicht so schlimm gewesen - es ist nur irritierend, diese Geschichte ausgerechnet in der deutschen aussterbenden Provinz zu lesen. Irgendwo in Wyoming würde das funktionieren ... Das Buch ist ein spannender Psychothriller, bei dem man nicht den Fehler machen sollte, ihn abzuklopfen auf Realismus, Wahrscheinlichkeit oder Tiefgang.

Vor allem der Tiefgang ist es, den ich im Nachhinein vermisse, der mir beim Lesen direkt aber nicht gefehlt hat. Wenn ich jetzt beim Schreiben drüber nachdenke, dann sind die Figuren wirklich extrem blass und eindimensional, dann ist die Sprache oberflächlich und die Erzählkunst Stobels sicher nicht Nobelpreiswürdig. Aber ganz ehrlich: während des Lesens hat es einfach Sapß gemacht, den Kopf so freigeblasen zu bekommen. Actionfilme sind auch so: kein großer Anspruch außer, dass die spannende Story den Zuschauer bei der Stange halten soll. Dieses einfache Rezept hat Strobel auf die richtige Anzahl von Seiten gepackt und ein wirklich gelungenes Buch vorgelegt, das sich ideal an einem Nachmittag weglesen lässt. Und mehr wollte ich von dem Buch gar nicht ;-)

Montag, 13. Juli 2015

[Buchgedanken] Stephen King - Es

Alles beginnt 1985 mit einem Telefonanruf. Mike aus der Kleinstadt Derry ruft seine alten Freunde aus Kindertagen an - den Club der Verlierer, wie sie sich selbst nannten. Der ewig stotternde Bill, der übergewichtige Ben, der hypochondrische Eddie, der vorlaute Richie, Bev, die von ihrem Vater öfter geschlagen wird als alle anderen Kinder der Jahrgangsstufe zusammen - sie alle kommen zurück nach Derry. Nur der zurückhaltende Stan begeht nach Mikes Anruf überraschend Selbstmord - und hiterlässt eine kryptische Botschaft. ES IST WIEDER DA. "Es", das ist das Böse, das in Derry wohnt, und das in einem Rhythmus von etwa 27 Jahren immer wieder zuschlägt. 1958 begann es mit der Ermordung von Bills Bruder Georgie und die Freunde begannen damals, sich "ihm" zu stellen. Doch "es" ist ohne Gestalt, es konfrontiert dich mit dienen größten Ängsten und bekämpft dich mit deinen eigenen Waffen. Damals gelang des den Kindern, das Wesen zumindest zurückzudrängen - doch können sie es als Erwachsene endgültig vernichten?

Das Buch ist natürlich ein totaler Klassiker und ich habe es jetzt zum fünften oder sechsten Mal gelesen. Dieses Mal allerdings in der eit ein paar vorliegenden Neuübersetzung - die altbekannte rote ist nämlich knapp dreihundert Seiten kürzer, weil sich der Übersetzer vermutlich dachte, man  muss nicht jede von Kings elegischen Beschreibungen mitnehmen. Denkste. ich finde grade die historischen Ereignisse fast noch besser dadurch, weil noch viel merh Stimmung entsteht. Dieses Mal noch merh als sonst ist mir aufgefallen, wie gut King in diesem Buch tatsächlich arbeitet: jeder hat andere Ängste und genau diese werden im Laufe des Buches auf die Spitze getrieben, jedermit ihnen konfrontiert. Und mag nicht jeder Clowns? Bis zu "Es" auf jeden Fall - danach ist so ziemlich bei jedem Leser (vor allem aber, Tim Curry sei Dank, bei jedem Zuschauer des Films) eine leichte Tendenz zur Clownangst zu erkennen. Das ist aber euch ein brillanter Kunstgriff, ausgerechnet etwas harmlos-lustiges zur Personifikation des Bösen zu machen! Das Buch ist immer wieder Horror pur, sei es, was die Blutigkeit betrifft als auch, was z.B. die Ängste von Eltern betrifft. King schafft es, Figuren durch nur kurz angedeutete Hintergrunderinnerungen zu charakterisieren und lebendig werden zu lassen, was das Buch noch zusätzlich erweitert.

Die Geschichte wird in zwei Zeitebenen erzählt und enthält auch noch Rückblicke in andere Jahre. Dennoch kommt man nicht durcheinander, was zum einen der Erzählung zu verdanken ist, zum anderen der Arbeit mit verschiedenen Kapiteln und Druckarten, so dass man als Leser quasi auf einem Transportband mitläuft. Da man auch jeweils nur einer Person pro Kapitel folgt, findet man sich in den Seiten gut zurecht und weiß, er wo bleibt. Besonders in den letzten zweihundert Seiten geht dann die Post ab mit Überblendungen, die ich toll gelöst fand - wie eine Art Splitscreen folgt mans owohl den Kindern von damals als auch den Erwachsenen.

Das Buch ist ein Klassiker im besten Sinn, es verdient, immer wieder neu entdeckt zu werden - auch dann, wenn man Kings Fantasie hier und da wirklich wünscht, ein wenig niedriger zu arbeiten. :-)


Sonntag, 12. Juli 2015

[Buchgedanken] Dorothy Parker - New Yorker Geschichten

New York, das ist die Stadt, die niemals schläft, in der die Träume genauso erfüllt wie zerstört werden können. Es ist ein Mikrokosmos, in dem Männer und Frauen zusammenleben und das beste daraus machen wollen. Es ist eine Gesellschaft, in der klare Regeln herrschen, an denen der Einzelne scheitert und zerbricht. Und das ist nicht nur heute so - das ist auch schon Anfang der Dreißiger der Fall. Und niemand schafft es, dieses Gefühl zu einzufangen wie die Schriftstellerin Dorothy Parker.

Parker war selbst gemessen an den wilden Zwanzigern eine Skandalnudel. Das liegt vor allem daran, dass sie sich sehr früh für Frauenrechte einsetzte und ihre Werke immer auch das Missverhältnis anprangern zwischen Männern, deren Verhalten in Beziehungen toleriert und gebilligt wird, während Frauen bereits als problematisch gelten, wenn sie nicht jeden Abend mit einem Lächeln am Esstisch erscheinen. Hat sich da jemals etwas dran geändert?

"Eine starke Blondine", die erste Geschichte in dieser Sammlung, ist nicht zu unrecht mit dem O'Henry-Preis ausgezeichnet worden - die deprimierende Niederlage einer Frau, die nicht nur an sich, sondern an ihrer Umgebung scheitert, weil sie keine Erwartungen erfüllen kann. Und dieses Scheitern erzählt Parker so klar, so bissig und so in nur angedeuteten Details, dass man die Figuren direkt vor Augen hat. Keiner der Protagonisten im Buch ist tatsächlich auserzählt, es sind Momentaufnahmen, häufig nur Dialoge, bei denen der Leser zwischen den Zeilen das eigentliche Drama aufspüren muss. Parker hat eine sehr klare und kraftvolle Sprache, die geradlinig und mitleidslos wirkt - in Wirklichkeit ist es die einzige Möglichkeit, um ihr Anliegen verständlich zu machen. Manche Geschichte tut weh, vor allem die, in denen die Oberflächlichkeit der Upper Class so deutlich zu Tage tritt. Ein Butler hat zu schweigen, eine Wäscherin froh zu sein, dass man sie wieder beschäftigt nach einem Krankheitsausfall. Ein Kind hat still zu sein und die Adoptiveltern voll Dankbarkeit zu bewundern. Und wenn das nicht passiert? Genau das sind Ausgangssituationen in anderen Geschichten von Parker, die hier ebenfalls versammelt sind.

Ich liebe das Buch, habe ich jetzt beschlossen. Und es war so großartig, mich nach New York zu lesen, bevor ich im August auch tatsächlich dort bin. Und dann mit Sicherheit auch mal einen Gedenkhalt einlege an all die Leute in New York. Wisst ihr, was mir grade einfällt dazu? Letztlich sind Parkers Geschichten nichts anderes als kunstvoller Vorgriff des Blogprojekts "Humans of New York", dem ich seit Jahren folge. Was für eine Verbindung ;-)

[Buchgedanken] Anna Maria Sigmund - Die Frauen der Nazis

"Wow, you're obsessed with Nazi-history", erklärte neulich ein Freund, als ich ihm meine aktuelle Lektüreliste vorstellte. Naja, als besessen würde ich mich nicht bezeichnen, aber ja, wenn man allein die Abteilung Biografien und Sachbücher über Geschichte durchschaut, fällt eine Tendenz auf. Ist es Faszination am Bösen? Ist es Interesse der Historikerin? Ist es die Tatsache, dass die NS-Geschichte in Deutschland in der Sach- und der belletrstischen Literatur gleichermaßen aufgearbeitet wird wie kaum eine andere Zeit? Vielleicht alles ein bisschen, deshalb habe ich meine Ende Juni einsetzende Leseunlust auch kurzerhand bekämpft mit einer weiteren Biografiensammlung, die sich diesmal den Frauen hinter der Führungselite widmet.

Anna Maria Sigmund stellt insgesamt acht verschiedene Frauen vor, darunter natürlich Eva Braun, Magda Goebbels und die beiden Ehefrauen Görings, aber auch die Regisseurin Leni Riefenstahl oder Hitlers Nichte Geli Raubahl findet hier ihren Platz. Zusätzlich gibt es ein kurzes Vorwort, in dem Sigmund zunächst das allgemeine Frauenbild des Nationalsozialismus und seine auch vorhandenen Grenzen darstellt. Interessant ist, dass eigentlich nahezu alle Frauen, die hier beschrieben werden - selbst Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink - diesem Bild so gar nicht entsprechen wollen. Es sind durchaus beruflich erfolgreiche Frauen, alle haben einen Beruf gelernt oder sind zumindest finanziell so weit abgesichert, dass sie die Ehe nicht als alleinige Versorgung anstreben müssten. Nicht alle sind politisch tatsächlich interessiert oder involviert, Henriette von Schirach ist so unglaublich naiv, dass man fast geneigt ist, ihr ihre späteren Schriften nicht übel zu nehmen, sondern sie ob ihrer Verblendung zu bedauern. Sie alle jedoch lassen sich ein auf ein Spiel an der Macht, suchen die Nähe zur Politik und erhalten Vorteile über Vorteile - von entzückenden Wertgegenständen aus "freiwilligen Spenden" von Museen hin zum Bohnenkaffee in Kriegszeiten. Keine von ihnen kann sich herausreden mit "ich war immer distanziert", und dennoch bleibt das Buch oftmals sehr oberflächlich in der Frage danach, wie viel die betreffende Ehefrau tatsächlich wusste. Ziel von Sigmund war es auch weniger, die Frage nach Schuld und Verantwortung zu beantworten, sondern vor allem den Kontrast deutlich zu machen zwischen gelebtem und gefordertem Frausein im Nationalsozialismus.

Die für mich immer noch faszinierendeste Gestalt ist dabei Magda Goebbels, die ihr 150%-Überzeugung beim Nazitum genauso auslebte wie in ihren früheren Leben Begeisterung für den Buddhismus und den Zionismus. Ausgerechnet die Frau, die ihre Kinder umbringt, weil sie nicht in einer Welt ohne Nationalsozialismus leben sollen, hätte - wäre sie nicht Goebbels über den Weg gelaufen - durchaus als Untergrundkämpferin in einem Kibbuz landen können. Grade bei ihr hätte ich mir noch eine viel längere Biografie gewünscht, wobei das bei einer Kurzsammlung einfach auch nicht machbar ist.

Im Bereich Biografien finde ich das Buch durchaus für einen Einstieg empfehlenswert. Sigmund zitiert Primärquellen, sie schreibt sehr klar und verständlich. Und wer sich für die Rolle der Frauen hinter der Führungselite interessiert, ist hier sicher nicht verkehrt.

Samstag, 4. Juli 2015

[Buchgedanken] Petra Hammesfahr - Lukkas Erbe

Ein Jahr ist vergangen, seitdem der Mädchenmörder durch den geistig behinderten Ben während seiner letzten Tat erschlagen wurde. Ben kommt aus der Psychatrie zurück nach Hause auf den Hof seiner Eltern und wird von der Dorfgemeinschaft nur teilweise akzeptiert. Während die direkten Nachbarn Ben unterstützen und ihm helfen wollen, weiter zu lernen, befürchten andere, dass der junge Mann noch ganz andere Dinge auf dem Kerbholz hat. Schließlich taucht Miriam Wagner auf, die Ziehtochter des Rechtsanwalts Lukka, und beginnt unbequeme Nachforschungen zu stellen. Und dann verschwindet plötzlich wieder eine junge Frau spurlos im kleinen Wäldchen hinter dem Dorf ...

Habe ich erst noch gedacht, dass nichts schlimmer sein kann als der erste Band, wurde ich hier eines besseren belehrt. Selbst ein Jahr später scheint keine Figur etwas dazugelernt zu haben (allen voran nicht unsere erzählende Kommissarin) oder es mal für nötig zu halten, Ben langfristig betreuen zu lassen, um überhaupt herauszufinden, was er weiß. Ich finde das ganz ehrlich so bescheuert und an der Realität vorbei, dass ich mich frage, ob Hammesfahr bei dem Buch überhaupt recherchiert hat.

Dazu ist dann noch mit dem Strang um Miriam eine neue Spielebene dabei, die mich so gar nicht zufrieden stellt - hier wird plötzlich ein Motiv für den Mörder konstruiert, das ich beim besten Willen nicht verstehe, nein, es wird sogar noch durch Andeutungen versucht, etwas weiteres zu gestalten, dann aber nicht ausgeführt (was genau meinte Miriams Mutter damals mit ihren kryptischen Bemerkungen im Auto????)

Und dann wird ein Nachahmungstäter aus dem Hut gezaubert, aber sowas von gezaubert, dass ich bis heute nicht verstehe, wie das gegangen sein soll. Plötzlich stapeln sich da die Leichen, während in den vorherigen 200 Seiten mal so gar nichts wirklich passiert ist. Ich wollte das Buch wirklich nur fertig kriegen, um diesen Monat noch ein paar Seiten runterzureißen für meine Lesechallenge, und das kann es doch wirklich nicht sein, oder?

[Buchgedanken] Petra Hammesfahr - Der Puppengräber

Ben ist 22, hat eine Figur wie ein Kleiderschrank, aber das Auffassungsvermögen eines Kleinkindes. Seine Eltern, beide bereits in den Sechzigern, versuchen, mit dem Sohn nach bestem Wissen und Gewissen umzugehen, und vor allem Mutter Trude schützt ihn vor allem Ungemach, das draußen drohen könnte. Doch dann wird das kleine Dorf von einer Vermisstenserie erschüttert. Die Tochter des Apothekers ist die letzte in einer Reihe von jungen Frauen, die spurlos verschwinden. Und im Dorf beginnen Gerüchte zu kursieren - wo hält sich Ben in den Nächten auf, in denen er ziellos durch die Gegend streift? ...

Ich habe das Buch vor ewigen Zeiten schon einmal gelesen und war damals begeistert - und jetzt beim erneuten Lesen bin ich so gar nicht mehr zufriedengestellt. Das Buch ist, das schon einmal vorneweg, kein Krimi im eigentlichen Sinn. Es ist ein Blick in den Mikrokosmos Dorf, in dem jeder mit jedem in Beziehung steht und sich vieles schon so lange ungesagt zwischen den Menschen befindet, dass man es gar nicht mehr in Worte fassen könnte. Das klingt eigentlich ganz gut, ich finde aber, dass die Autorin hier einfach viel zu oft in die Klischeekiste greift und sowas von übertreibt und unrealistisch wird, dass ich gar keine große Lust mehr auf das Buch hatte. Das beginnt damit, dass in diesem Dorf alle so dermaßen hinterwäldlerisch und unaufgeklärt wirken, als hätten wir noch 1950 - das Buch spielt 1996, und ja, auch wen vor allem geistig Behinderte bis heute schief angeschaut werden, dieses Verhalten in Bezug auf Ben ist einfach nur peinlich-übertrieben. Darüber hinaus werden so ziemlich alle Klischeevorstellungen bedient, die man vom Dorfleben nur haben kann, und gepaart ist es zusätzlich mit permanenten Rückblicken, die effektiv keinen großen Sinn haben, sondern nur noch mehr Zeitstränge eröffnen. Das ist zwar nett, um alle, aber auch wirklich alle Personen der Buches zu charakterisieren, aber mal ehrlich: wenn ich einen Krimi lese, dann will ich wissen, wie der Mörder gefasst wird. Und genau diese Zeitlinie ist effektiv immer nur am Rande spürbar.

Wirklich misslungen finde ich die plötzlich wechselnden Erzählperspektiven. Während ich es schon eher problematisch finde, das ganze aus der Sicht einer völlig außenstehenden Polizeikommissarin zu erzählen, die im Buch als Protagonistin erst kurz vor knapp auftaucht, dafür aber permanent ihren Senf mit bedeutungsschweren "hätte, hätte, Fahrradkette"-Sätzen beisteuert, finde ich es geradezu absurd, dann plötzlich in den Kopf von anderen Protagonisten zu springen - völlig zusammenhanglos sieht man plötzlich Bens Perspektive, wobei es Hammesfahr nicht gelingt, seine speziellen Gedankengänge einzubeziehen, sondern sich auch hier in Klischees ertränkt. Für mich waren diese 400 Seiten ein endlos gezogener Käse, ich kenne von Hammesfahr deutlich bessere Bücher.