Sonntag, 30. August 2015

[Buchgedanken] John Boyne - Der freundliche Mr Crippen

Wer schon einmal in London bei Madame Tussauds war und sich in der Chamber of Horrors wiederfand, der hat auch diese Figur gesehen. Einen eher kleinen Mann mit blonden Resthaarsträhnen, die sich an den Kopf schmiegen, einem buschigen Oberlippenbärtchen und großen Brillengläsern, hinter denen sich ein wenig triefende Augen verstecken und ihm den Anblick eines scheuen Kaninchens geben. Und wenn man dann das beigefügte Schild liest, dann läuft einem vielleicht ein Schauder über den Rücken, klingt der Name doch zumindest so ähnlich wie der von Jack the Ripper. Die Rede ist von Hawley Harvey Crippen. Dr. Crippen, wie ihn die meisten kennen. Und wie so oft ist seit seiner Verurteilung 1910 die Geschichte seines Verbrechens so groß angewachsen, dass er heute als einer der bestialischen Mörder überhaupt gilt - dabei hat er eigentlich einfach nur seine Frau vergiftet und die Leiche dann in handlichen Stücken im Keller vergraben. Was den Fall so besonders macht, sind die Umstände seiner Entdeckung - denn Crippen schaffte es zunächst, die Welt inklusive Scotland Yard glauben zu machen, seine Cora wäre auf einer Reise nach Amerika plötzlich verstorben. Dann verhedderte er sich allerdings in den verschiedenen Varianten und einer Alternativerzählung, die Verdachtmomente wurden größer - aber bevor Inspector Dew von Scotland Yard dem freundlichen Dentisten und Homöopathie-Verkäufer Nachfragen stellen konnte, fand man ein leeres Crippen-Haus und im Keller die Leiche Coras. Vermutlich die Leiche Coras, denn der Kopf wurde nie gefunden und es gab vor Gericht erhitze Debatten, ob der leitende Gerichtsmediziner Sir Bernhard Spilsbury sie auch wirklich richtig identifiziert hatte. Crippen selbst wurde an Bord der Montrose, eines Passagierschiffs nach Quebec, gemeinsam mit seiner Geliebten Ethel LeNeve vom Kapitän enttarnt (die Tarnung als "Mr. Robinson und Sohn" war eher mangelhaft), der Scotland Yard per Telegramm verständigte. Dew reiste auf einem schnelleren Schiff nach, nahm Crippen und LeNeve an Bord der Montrose fest und brachte sie zurück nach England. Crippen wurde verurteilt, Ethel freigesprochen - Ende.

All das mag jetzt wie ein gewaltiger Spoiler erscheinen, denn schließlich erzählt John Boyne in diesem Buch genau davon. Dass man aber trotz des Bekanntheitsgrades des Falls (gerade in England) doch unterhalten wird und das Buch geradezu einsaugt, liegt vor allem daran, dass Boyne es verwendet, um ein Bild der Gesellschaft zu zeichnen, die er als Mikrokosmos auf der Montrose versammelt. Die Upperclass-Lady, die alles und jeden bewertet und für die nichts gut genug ist, inklusive überheblicher Tochter. Der distanziert-amüsierte Franzose, das moderne Frauenbild, das in den 1910er Jahren ganz allmählich aufkommt. Dazu kommen auch Coras Freundinnen in England, dem Land der Klassenzugehörigkeit, die sich in ihrer überheblichen Upperclass-Welt gut eingerichtet haben und auf Cora und Crippen letztlich nur herabschauen, sie aber für amüsant genug halten, um Umgang mit ihnen zumindest gelegentlich zuzulassen. Diese ganzen Figuren wirken trotz ihrer Überzeichnung so glaubwürdig und vertraut, dass man fast schauert. Kein Wunder, dass man irgendwann fast schon Mitleid mit Crippen empfindet, so ähnlich wie es auch Dew ergeht. Dass dieser freundliche Mann ein Mörder ist, ist schwer zu glauben, aber man kann es akzeptieren - er ist nur nicht das eiskalte Psychopathenhirn, das man ihm heute zutraut. Oder steckt doch mehr dahinter? Auch hier entwickelt Boyne in Andeutungen und Schilderungen zumindest Zweifel, die mich als Leser dann doch hier und da schaudern lassen.

Was mir nicht ganz so gut gefallen hat, war die Darstellung des Mordes, die ich für letztlich sehr an den Haaren herbeigezogen halte, das ist wieder einmal Boyles Drang zum Fabulieren. Ohne diese Auflösung, mit ein wenig mehr Fragezeichen versehen, hätte ich das Buch absolut toll gefunden. Aber auch so würde ich sagen: Lest es ruhig mal. Es unterhält hervorragend ;-)

Samstag, 29. August 2015

[Buchgedanken] Linda Castillo - Mörderische Angst

Als der erfolgreiche Immobilienmakler Dale in seiner Scheune erhängt aufgefunden wird, denkt die Polizei zunächst an Selbstmord. Bis man eine Amish-Puppe am Tatort findet, die eine Verbindung zu einem ungelösten Fall aus dem Jahr 1979 darstellt. Damals waren auf der Farm der Hochstedtler der Vater und vier kleine Kinder ermordet worden, die Mutter wurde entführt. Nur der 14-jährige Billy überlebte die Nacht und ist seitdem ein gebrochener Mann. Als weitere Menschen ermordet werden, findet Kate Burkholder schließlich die Verbindung zwischen den Fällen ...

Fangen wir mit dem Positiven an: Dieser Band ist für mich eine deutliche Verbesserung zu den vorherigen Bänden, denn - oh Wunder - er kommt dieses Mal ganz ohne eine permanente Nacherzählung von Kates Teenagertrauma aus. Wenn jetzt auch noch Tomasetti endlich mal zurücktreten würde und sich Linda Castillo wieder ganz auf den Fall konzentrieren würde, von dem sie erzählt, dann wird der nächste Band sicher ein Highlight der Serie.
Dass ich dieses Mal auch wieder nicht ganz euphorisch bin, liegt einfach daran, dass mir der hier erzählte Fall zu simpel ist, man die Verbindung quasi von der ersten Seite an offen vor sich liegen hat und man sich fast schon wundert, warum keiner der Polizisten ebenfalls schnell diese Schlüsse zieht. Aber gut, auf diese Weise können sich noch ein paar mehr Morde ereignen, die den Leser natürlich bei der Stange halten. Gut, die Auflösung des Täters ist dann eine kleine Überraschung, andererseits vermisse ich, eine mal wirklich psychologisch hintergründige Analyse und nicht nur dieses Vordergründige Soziopathen-Gewäsch, das in jedem Thriller präsentiert wird. Über den Realitätsgehalt dieser Auflösung kann man trefflich streiten, das will ich hier gar nicht machen, da habe ich schon deutlich Schlimmeres erlebt im Rahmen meiner Bücher ;-)

Alles in allem ein solider Thriller, den ich jetzt nicht vollständig bereue. Ich habe die Hoffnung, dass die Burkholder-Reihe doch wieder gut werden könnte ...

Donnerstag, 27. August 2015

[Buchgedanken] Jennifer McMahan - The Night Sister

Das alte Tower Motel in London, Vermont war in den Fünfziger Jahren ein Touristenmagnet. Lag es an dem vom Besitzer gebauten Turm oder an der Hühnerhypnoseshow der beiden Töchter Sylvie und Rose? Doch als der Highway gebaut wurde, blutet der Ort aus und 1989 spielen Piper, Margot und ihre Freundin Amy in den stillgelegten Motelzimmern. Zwanzig Jahre später ruft Margot ihre Schwester an - Amy hat sich und ihre Familie erschossen. Liegt es an dem Geheimnis, das die drei Mädchen damals im Motel entdeckt haben und das eine düstere Familiengeschichte offenbart hat?

Das Buch war ein echter Spontankauf am Flughafen in New York, weil mein ereader nichts Spannendes mehr zu bieten hatte. Und ich bin nicht gerade enttäuscht worden, diese Mystery-Geschichte hat es in sich und bietet einige Überraschungen. Besonders gefallen haben mir die unterschiedlichen Zeitebenen, die sehr gut miteinander verwebt sind und gleichzeitig das Leben von Sylvie und Rose sowie das von Amy, Piper und Margot beleuchten. Gut, die Grundidee ist schon sehr im Horrormystery-Bereich angesiedelt und ich hatte nicht erwartet, dass es so abdreht. Andererseits, es ist gelungener Horror, der hier geboten wird, wenn auch sehr oberflächlich. Und da bin ich auch schon bei meiner Kritik. Trotz allen Pageturner-Qualitäten sind die Figuren nur sehr holzschnittartig geschildert und gerade das Ende und die Erzählungen von Oma hätten doch ein paar Seiten mehr vertragen. Es ist eine Art abgespeckter Stephen King, der nicht ganz so erzählerisch wertvoll ist, aber nichtsdestotrotz ein echt gutes Buch. Leseempfehlung für euch ;-)
336 Seiten

[Buchgedanken] Arthur Conan Doyle - Der Hund der Baskervilles

Sherlock Holmes und sein Freund Dr. Watson erhalten in der Baker Street Besuch von einem jungen Arzt. Dr. Mortimer bittet sie um ihre Hilfe bei einem durchaus ungewöhnlichen Fall. Sir Baskerville ist kürzlich verstorben, was angesichts seines Alters und seiner Herzschwäche nichts ungewöhnliches wäre. Wäre da nicht die alte Sage über einen Hund, der die Baskervilles verfolgt und sich vor ihrem Tod zeigt - und die Tatsache, dass am Todesort Hundespuren gefunden wurden. Nicht etwas von einem niedlichen Corgie, sondern von einer gigantischen Bestie! Holmes und Watson sollen nicht nur erkunden, was hinter diesen seltsamen Vorfällen steckt, sondern auch noch den neuen Erben im Auge behalten und ein eventuelles Ableben verhindern ...

Ich habe schon so lange keinen Sherlock Holmes mehr gelesen. Was für andere Agatha Christie ist mir Arthur Conan Doyle - und ich bin hier tatsächlich gewillt, darüber hinweg zu schauen, dass auch Doyles Detektiv mir Leser immer überlegen ist. Andererseits ist Sherlock Holmes einfach irgendwie anders als Christies Figuren, er ist nicht einfach verschroben. Und er ist sogar bereit, Fehler zuzugeben - gelegentlich, aber immerhin. Ein wenig genervt hat mich am Buch, dass Conban Doyle so oft die Erzählstruktur wechselt. Zuerst eine Icherzählung, dann Briefe, dann Tagebuch, dann wieder Erzählung - mir war das zu willkürlich. "Der Hund der Baskervilles" wird nie mein absoluter Liebling sein, dazu ist mir die Auflösung dann ein wenig zu viel des Guten, aber was mir an diesem Buch gefallen hat, war die Tatsache, dass hier die Originalbilder aus dem Strand Magazin mit gezeigt wurden, man also wirklich das Gefühl hatte, die Geschichte so zu lesen wie das erste Publikum. Und das lohnt sich immer :-)

[Buchgedanken] Jakob Wassermann - Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens

Kaspar Hauser, der berühmte Findling. Seit seinem Auftauchen im Jahr 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz ist er, wie sein Grabstein verkündet, ein Rätsel der Menschen. Um die 16 Jahre alt, kaum fähig zu sprechen und zu gehen, erzählt er schließlich eine haarstäubende Geschichte - jahrelang soll er in einem dunklen Raum eingesperrt gewesen sein, keinen Kontakt zu Außenwelt gehabt haben. Schon bald kommen in Nürnberg die ersten Gerüchte auf. Kann es sein, dass hinter Kaspars Leben eine Verschwörung im badischen Königshaus steckt, dass er der wahre Thronerbe ist? Seine Unterstützer und seine Gegner liefern sich Schlachten, als Kaspar schließlich nach Ansbach zieht und beginnt, unter der Aufsicht Ludwig von Feuerbachs ein normales Leben zu führen, scheint es schon fast zu spät. Wie kann ein Wunder in die Normalität finden, vor allem, wenn es von allen Seiten misstrauisch betrachtet werden ...

Manche Bücher liegen bei mir jahrelang herum und dann lese ich sie, weil einfach nichts anderes da ist. So war es auch mit "Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens", das so ziemlich ganz vorne in der Liste meines ebooks steckt. Nach meinem ersten Ausflug in die Klassiker dieses Jahr dachte ich, ich probiere es jetzt - und habe das Buch förmlich eingesogen. Das liegt vor allem an der Sprache Wassermanns. Einerseits ausschweifend und geschraubt wirkt sie auch mich als Leser dennoch nicht im mindestens erschreckend oder einschüchternd. Sie bleibt trotz Bandwurmsätzen und des altertümlichen Sprachduktus sehr verständlich und zieht mich in den Text. Denn das Buch ist nicht einfach eine Nacherzählung eines Falls. Zwar ist Wassermann in seiner Autorenseicht sehr auf die Erbprinzentheorie festgelegt, doch geht es bei ihm vor allem auch um die Gesellschaft, in der sich Hauser bewegt. In Nürnberg ist es vor allem die Unterstützergruppe, die ihm nahezu jedes Wort glaubt und ihn zu einem Wunder der Menschheit aufbaut. In Ansbach dagegen sind es die Kritiker und Zweifler, denen wir auf ihren Wegen folgen. Dabei sind sie, wie etwa der Lehrer Quandt, so überzeichnet in ihrer Ablehnung und gleichzeitig so realistisch, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. So wie Quandt reagieren viele Menschen, die um jeden Preis ihre Meinung bewiesen haben wollen - da wird ein jedes Verhalten negativ ausgelegt. Die wenigen Freunde Caspars sorgen eher dafür, dass er in seiner Sonderstellung so gefestigt wird, dass es kaum anders möglich ist für ihn, als sich in einem normalen Leben zu langweilen. Diese Gesellschaftsanalyse fand ich ungeheuer spannend und hat für mich das Buch zu einem diesjährigen Highlight gemacht.

[Buchgedanken] Agatha Christie - Das fehlende Glied in der Kette

Auf dem Landgut der Cavendishs treffen sich Captain Hastings und sein alter Bekannter, er belgische Polizist Hercule Poirot. Beide sind bekannt mit Mrs. Inglethorpe, ehemals Cavendish, die den Landsitz und ein beträchtliches Vermögen von ihrem verstorbenen Gatten geerbt hatte. Doch jetzt ist sie verheiratet mit einem deutlich jüngeren Mann - und dann stirbt sie auch noch eines mysteriösen Todes. Der schnell verdächtige Gatte jedoch kann von Popirot entlastet werden - aber wer hatte dann sowohl Motiv als auch Gelegenheit, den heimtückischen Giftmord zu verüben? Poirot nimmt die Ermittlungen auf ...

Dieses Buch ist der allererste Agatha Christe überhaupt. Und direkt zu Beginn ihrer Schriftstellerkarriere nimmt sich die Queen of Crime dem altbekannten Fall des Mordes hinter verschlossenen Türen an. Darüber hinaus reichert sie den Fall an mit schnell verdächtig erscheinenden Typen, mit jeder Menge Hintergrundgeheimnissen und vielen, vielen variierenden Motiven, die sich plötzlich auftun. Dass sie sich dann zu diesem Ende entschloss, dass auf jeden Fall überraschend ist, ist ihr zugute zu halten. Was mir am Buch allerdings wie immer weniger gefallen hat, war diese fürchterliche Rolle, die sie dem Leser zudenkt. Durch Hastings (den auch Agatha Christe selbst anscheinend nicht leiden konnte) lenkt sie den Leser auf falsche Spuren und zu Schlussfolgerungen, die dann vom großen Meister enträtselt und zurecht gebogen werden. Dabei ist es natürlich immer seine Interpretation, die der Wahrheit entspricht, während andere, abenfalls logische Schlussfolgerungen, kleingeredet werden. Abgesehen davon, dass mir Poirot als Charakter einfach zu überzeichnet ist, um ihn jemals wirklich zu mögen, finde ich, dass sich hier schon sehr die Idealtypen der englischen Krimiliteratur in einem kleinen Raum versammelt haben. Muss man mögen, um sich hier auf die Suche nach einem fehlenden Kettenglied zu begeben, das - ganz im Sinne Sherlock Holmes - die Lösung am Ende übrig lässt, die als einzige möglich ist.

Mittwoch, 26. August 2015

[Aktion] #bloggerfürflüchtlinge

"Hast du dich jemals so hilflos gefühlt, dass du um dich schlagen wolltest - und der einzige Grund, der dich gehindert hat, war der, dass es ja doch nichts bringen würde?" Mit diesem Satz begann meine letzte Email an meinen besten Freund. Geschrieben nachts um halb zwei, nachdem ich mich schlaflos im Bett gewälzt habe. Nicht wegen des Jetlags. Sondern weil mir die Nachrichten nicht aus dem Kopf gehen.

Vier Wochen war ich nicht in Deutschland, sondern unterwegs in Kanada und den USA. Vier Wochen lang, in denen meine Facebook timeline dennoch immer verkündete, dass in Deutschland gerade eine Suppe am Überkochen ist, die mir bereits aus der Ferne Übelkeit verursacht hat.

Ja. Ich rede von euch, ihr "für das Volk"-Sprecher. Ihr "man wird ja noch mal sagen"-Dürfer. Ihr "Ich hab ja nichts gegen Ausländer"-Aberer.


Wer glaubt, dass Leute, die Asylbewerberheime anzünden, die Bezeichnung Asylkritiker verdienen - der glaubt auch, dass die Nazis Buchkritiker waren. Ich bin ein Buchkritiker. Aber ich wollte nie ein politischer Blogger sein. Politik, das habe ich studiert. Und das ist mitunter eine schmutzige Angelegenheit, wenn man sich damit näher beschäftigt. Aber wie soll ich unpolitisch bleiben in einer Zeit, in der sich Menschen zusammenrotten und danach brüllen, andere Menschen in den Tod zu schicken? Wie soll ich unpolitisch bleiben, wenn vom Hass Verblendete sich zusammentun und unter der Maske des "besorgten Bürgers" lauthals die Rechte anderer Menschen beschneiden wollen? Wie soll ich still bleiben, wenn ich weinen, schlagen, um mich treten möchte in meiner Hilflosigkeit und der absurden Hoffnung, auch nur einen einzigen von euch merkbefreiten Robotern der Hasses zum Umdenken zu bewegen?

Meine Wut ist Hilflosigkeit geschuldet. Hilflosigkeit, wie sie auch die verspüren müssen, gegen die sich dieser Hass richtet. Menschen, die ihr letztes Geld dafür gegeben haben, unter Umständen aus einem Kriegsgebiet zu fliehen, die ich nicht einmal euch marodierendem Pack wünsche. Nicht nur, weil ich von meinen Eltern gelernt habe, niemandem etwas Böses zu wünschen - sondern weil ich weiß, dass selbst das nichts bei euch auslösen würde. All eure Besorgnis um Kinder, Rentner und die deutsche Kultur - steckt sie euch an den dunkelsten Ort eures Körpers. Denn bis vor kurzem waren euch Kinder, Rentner und die deutsche Kultur noch scheißegal. Aber sobald es auch nur darum geht, jemandem, der alles verloren hat, Dinge zu missgönnen - da reißt ihr das Maul auf. Da lauft ihr vorne mit und wenn ich ganz genau hinhöre, dann höre ich schon wieder die ersten flüsternden Stimmen, die sagen, damals wär es doch gar nicht so schlimm ...

Und kommt mir jetzt nicht mit dem so beliebten "Ich bin doch kein Nazi, aber"-Spruch. In dem Moment, in dem ihr deren Aussagen unterstütz, seid ihr es. Ihr seid vielleicht kein überzeugter Nazi. Aber manche politischen Ideen, die sind wie schwanger sind - ihr könnt es nicht nur ein bisschen sein. Ihr. Seid. Es. Einfach. Ihr seid Mitläufer. Unterstützer. Stillschweigende Mittäter. Und wisst ihr was? Die hatten wir bereits viel zu oft in diesem Land.

Meine Hilflosigkeit ist auch Angst geschuldet. Angst vor dem, was da unter einer Decke der Demokratie schlummert und gerade wieder einmal seine stinkenden Klauen zeigt. Ja. ich habe Angst davor, in einem Land zu leben, in dem eine kleine Gruppe von Bastarden es wagt, diese Demokratie nicht nur mit Füßen zu treten, sondern als Entschuldigung zu nehmen für ihre Taten. Wer anderen Menschen Grundrechte abspricht - der hat sie selbst nicht verdient.

Liebe Leser. Liebe Blogger. Werdet laut. Empört euch. Selbst dann, wenn ihr das Gefühl habt, dass es eh nichts bringt. Werdet nicht zu einer stillen Instanz, die sich in den eigenen vier Wänden empört. Sondern zeigt der Welt, zeigt den Menschen, die in einer Situation der extremen Not zu uns kommen, dass dieser protestierende Pöbelhaufen die Minderheit ist. Und dass wir in unserer Demokratie in der Lage sind, sie in ihre Schranken zu weisen. Nicht mit Gewalt - sondern indem wir vormachen, wie einfach es ist, menschlich zu sein. Durch Hilfe. Durch Spenden. Durch Freundlichkeit. Und indem wir immer und immer wieder aufstehen und laut und deutlich "Nein!" sagen, statt uns von Angst und Hilflosigkeit lähmen zu lassen.

Genaueres zu der Aktion könnt ihr nachlesen bei Karla Paul. Und bei der wunderbaren Heike, dank deren Eintrag ich jetzt auch endlich aus meiner bequemen Sicherheitszone gekommen bin. Und natürlich auf der Website zu der Aktion - die brauchen nicht nur jede Stimme, sondern jede Hilfe. Nicht für sich. Sondern für Menschen.

[Buchgedanken] Gustave Flaubert - Madame Bovary

Emma ist ein junges Mädchen, als sie den Arzt Charles Bovary heiratet. Schon bald sind ihre Jungmädchenträume von der großen, idealistischen Liebe am Boden der Realität zerbrochen. Emma steigert sich hinein in eine neue Traumwelt, die der Literatur, schließlich in zwei Affären, die sie aber ebenfalls nicht befriedigen. Beide zerbrechen letztlich und Emma verfällt einem Kaufrausch. Als sie ihre immer größer werdenden Schulden nicht mehr verstecken kann und der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, zerbricht ihr Traum. Schließlich sieht sie keinen Ausweg mehr als den Selbstmord ...

Ich hatte immer Angst vor "Madame Bovary", weil ich befürchtet hatte, es wäre mindestens genauso langatmig und langweilig wie "Effi Briest". Dann allerdings hat meine Freundin, die das Buch im Urlaub mithatte, mir es ausgeliehen und ich hatte es nach zwei Strandtagen einfach mal komplett ausgelesen. Ich bin begeistert. Nicht nur, dass die Übersetzung hier großartig ist und man zusätzlich zum Roman auch noch über die gegen Flaubert geführte Gerichtsverhandlung informiert wird (inklusive des sehr spannenden Urteils) - die Geschichte selbst ist es, die mich fasziniert hat. Insbesondere die Figuren, die mir in ihrer Zeichnung immer mehr Leid getan haben. Charles, der einfach zu passiv ist und seiner Frau kaum etwas entgegen setzen kann, ist effektiv das arme Schwein der gesamten Familie. Gerade auch, als er sich vom Apotheker Hamais in eine riskante Operation drängen lässt, ist für mich bereits klar gewesen, dass es nur desaströs enden kann. Emma dagegen ist genauso arm dran wie ihr Mann, wenn auch auf anderem Gebiet. Die Frau leidet unter Depressionen (ein klinisches Bild, das es zu Flauberts Zeiten noch nicht gab) und vor allem unter einer ständigen Einsamkeit, die durch nichts gefüllt werden kann. Stattdessen stüzt sie sicha uf immer neue Projekte, an denen sie schnell die Lust verliert, sobald es schwer oder alltäglich wird - ein Gemütszustand, den vielleicht jeder von uns schon einmal erlebt hat. Und auch ihre beiden Affären sind nichts anderes als zum Scheitern verurteilte Beziehungen, denn auch hier versteht eigenlich keiner der beiden Männer, was Emma tatsächlich bräuchte.

Das Buch ist nicht nur gut. Es ist hervorragend und ich bereue es schon fast, mich nicht viel früher mit ihm beschätigt zu haben. Die Ausgabe hier ist nciht nur extrem gut übersetzt, sondern hat eben noch zusätzliche Informationen, die mir als Leser auch noch Informatonen über die Wirkung des Romans vermitteln. :-)

Dienstag, 25. August 2015

[Buchgedanken] Michael Crichton - Vergessene Welt

Dr. Richard Levine ist Paläonthologe, jung und verdammt reich. Eine unglückliche Kombination, wenn man der Meinung ist, dass Dinosaurier noch leben - denn dann kommt man natürlich auf die Idee, sie zu suchen. Auch wenn sein Freund Dr. Ian Malcolm ihn warnt, macht sich Levine auf die Suche und verschwindet plötzlich. Gemeinsam mit der Zoologin Sarah Harding und einem kleinen Team macht sich Malcolm auf die Suche in Costa Rica - denn die Dinosaurier, die Levine dort vermutet, sind nichts anderes, als übriggeblieben Brutversuche des Dinoparks, dem Malcolm vor einigen Jahren gerade so entkommen ist ...

Bitte lest nicht das Buch, um es mit dem Film zu vergleichen. Die beiden haben mal so gar nichts gemeinsam, effektiv hat man zwei verschiedene Geschichten, bei denen nur die Hauptfiguren zufällig gleich heißen. Und dieses Buch sit deutlich besser als der Film, wenn auch nicht ganz so gut wie das erste Buch, weil einem die Dinosaurier in den Actionszenen nicht viel Neues mehr lehren. Dafür aber der wissesnschaftliche Anspruch. Stand im ersten Teil vor allem die Chaostheorie im Mittelpunkt, geht es hier um die Evolution und ihre Verbindung zur Ethnologie. Evolutionstheorie nach Darwin ist nicht die einzige Evolutionstheorie und vo allem im bereich der Frage nach dem Aussterben von Arten wird Darwin stark diskutiert. Für mich waren das wahnsinnig spannedne Überlegungen, die hier immer wieder aufkommen und die das Buch nicht nur zu einem mitreißenden Thriller machen. Wobei, das Thrillerelement ist im Vergleich zum ersten schon wenig überraschend, man kennt die Dinos und weiß, wie sie reagieren werden. Die Komplexität desd Romans ist diesmal allein die wissenschaftliche Ausienandersetzung, die Crichton mit seinem Leser sucht. Wenn man aber bereits ist, darüber hinweg zu sehen, dann wird man mit einem tollen Roman belohnt.

[Buchgedanken] Michael Crichton - Jurassic Park

Einem wissenschaftlichen Team ist es im Auftrag des dinosaurierbegeisterten Multimilliardärs John Hammond gelungen, wovon vermutlich jedes Kind träumt. Durch Dinosaurier-Gene wurden lebendige Dinos erschaffen, die Hammond in einem Freizeitpark zeigen will. Doch dank einiger Unfälle bei den Bauarbeiten sind die Investoren des Parks nicht mehr hundertprozentig überzeugt. Deshalb lädt Hammond eine Gruppe von Wissenschaftler (zwei Paläonthologen und einen Mathematiker) sowei seine beiden Enkelkinder zu einer exklusiven Besichtigungstour ein. Als jedoch dank eines korrrupten Sicherheitstechnikers die elektischen Zäune versagen, bewegen sie die Dinos frei über die Insel ...

Klar, den Film "Jurassic Park" habe ich gesehen. Und auch ich war ein Dino-Kind, das die Namen von Dinos auswendig kannte und völlig fasziniert war von diesen Riesen. Aber ich habe irgendwie nie das Buch gelesen, bis es mir jetzt ein Freund für die Ferien geliehen hat. Ich hatte einfach nur einen Thriller wie im Film erwartet, Dinos jagen Menschen, Menschen enden als Dino-Futter - und klar, das kommt im Buch vor. Aber was mir nicht klar war, war, dass Chrichton effektiv einen Roman über di Chaostheorie geschrieben hat. Durch ein einziges kleines Detail wird eine Kettenreaktion ungeahnten Ausmaßes gestartet. Unvorhersehbar? Nicht ganz, denn der der Mathematiker Ian Malcolm (ihr wisst schon, Jeff Goldblum im Film) warnt effektiv von Beginn an davor, was pasieren wird, wenn wissenschaft bis an ihre Grenzen getrieben wird. Und das ist es, was im Buch deutlich mehr zu Wort kommt als im Film. Das Buch ist ein verstörend detailliertes Werk über Gefahren der Gentechnik, die bei der Entstehung des Buchs uneingeschränkt positiv gesehen wurde. Was mir am Buch ausßerdem verdammt gut gefällt, sind die Figuen, die zum Teil deutlich anders sind als im Film. Grade Hammond ist ein ziemlicher Unsympath, der für seinen Kindheitstraum alles zu opfern bereit ist und nicht einsehen kann, wenn er verloren hat. Ian Malcolm wirkt unsympathisch, ist es aber gar nicht so, stattdessen hat er die undankbare Rolle des Propheten, dem einfach nicht geglaubt wird.

Ich empfehle das Buch uneingeschränkt jedem weiter. Nicht nur, weil es spannend ist, sondern weil man dabei wikrlich wissenschaftlichen Hintergrund erfährt, der zum Nachdenken und Weiterdenken verleitet ;-)

[Buchgedanken] Jerome K. Jerome - Drei Männer in einem Boot

Drei Freunde, alle gefangen in ihrem alltäglichen Berufsleben und ein wenig bequem geworden, kommen bei einem abendlichen Essen auf die Idee, gemeinsam eine Fahrt auf der Themse zu machen. Ein Boot mieten, sich mit Essen eindecken und dann gemütlich durch das land treideln und rudern, ein bisschen Städte besichtigen, die Seele baumeln lassen und halt ganz allgemein das Leben genießen. Wie herrlich! Gesagt, getan, und schon tun sich die ersten Probleme auf: was einpacken? Wie verhindern, dass man zu spät aufsteht? und wieso eigentlich sind soclhe Ideen im Kopf immer viel romantischer als sie dann in Wirklichkeit sind?

Mit diesem Buch im Gepäck bin ich dieses Jahr in den Urlaub gestartet - eine Wohnwagentour durch Ostkanada. Und vielleicht lag es genau daran, dass auch meine Freundin und ich uns im Vorfeld solche romantischen Ideen ausgemalt haben, dass ich dieses Buch so lusitg fand, dass es zu meinen diesjährigen Highlights zählt. Die Geschichte ist wirklich schnell zusammengefasst, es passiert nicht viel. Aber Jerome nutzt die Themsefahrt zur großen Kunst der Abschweifung. Er erzählt in vergnüglichem Plauderton über alles und jedes, über Geschichte und Anekdoten, schildert urkomische Begebenheiten und bleibt dabei trotz allem immer so charmant-englisch. Ähnlich wie die Bücher von P.G.Wodehouse ist auch "Drei Männer in einem Boot" ein Feel-Good-Buch, das Spaß macht beim Lesen und ständig ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Und grade dann, wenn man in Kanada bei seineme rsten Lagerfeuer sitzt, die Klamotten anfangen nach Rauch zu stinken und der Rauch dir die Tränen in die Augen treibt - dann fühlt man mit drei Männern noch mehr mit, die vor lauter Reisefieber zwar Unmengen and Konservendosen einpacken, den Dosenöffner aber glatt zu Hause vergessen ;-)

[Buchgedanken] Hans Pfeiffer - Die Sprache der Toten

Wir alle haben diese Bücher, die wir irgendwann in der Jugend entdeckt haben, die mit von einem Regal ins nächste wandern, und bei denen wir uns dann doch irgendwie immer mal fragen, warum. Denn rein objektiv betrachtet sind sie einfach nicht so toll wie wir sie in Erinnerung haben. Bei mir sind diese Bücher eine kleine Sammlung von True-Crime-Büchern des Autors Hans Pfeiffer, in denen er berühmte oder auch nicht ganz so berühmte, dafür aber seltsame Verbrechen nacherzählt.

Wer hier jetzt hochwissenschaftliche Arbeiten erwartet, ist an der falschen Adresse. Oftmals sind Pfeiffers Bücher einfach nur lose Sammlungen, die hauptsächlich auf Zeitungsartikeln beruhen. Das merkt man vor allem daran, dass bei einigen Fällen nicht viel an Zusatzinfos gegeben wird und sich hier und da die medizinische Erklärung sehr verkürzt darstellt. Dennoch lese ich die Bücher immer wieder gerne, denn Pfeiffer ist ein guter Erzähler, der Lust darauf macht, den Fall zu erlesen und, zumindest, gelegentlich eine eigene Lösung zu entwickeln, wie der Täter geschnappt werden könnte. Dabei bleibt er alledings hier und da sehr betulich in seinem Stil, es ist so ein leicht großväterliches Nacherzählen, bei dem er versucht, dem Täter in den Kopf zu schauen, ohne dabei aber wirklich Zugang zu ermögliche.
Über Rechtsmedizin oder forensische Analysen erfährt man dabei leider sehr wenig, d.h. nach dem Buch ist man in etwa so schlau wie zuvor. Alles in allemn ist es okay für jeden Leser. Für mich hängt mein Herz dran und ich würde das Buch einfach nicht weggeben ;-)

Mittwoch, 19. August 2015

[Buchgedanken] John Green - Das Schicksal ist ein mieser Verräter

Hazel ist 16. Hazel hat Krebs. Hazel wird sterben. So einfach ist die Ausgangsbasis dieses Buchs, das ich jetzt zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit gelesen habe - und obwohl ich genau wusste, wie es ausgehen wird, habe ich es doch wieder nicht geschafft, die Tränen zurückzuhalten.
Hazel ist weder ein "tapferes Krebsmädchen", das sein Schicksal huldvoll annimmt und den Menschen um sich herum Kraft gibt, noch ein verbitterter Eigenbrötler. Hazel ist ein Teenager, der genau wie andere Teenager seine Eltern mal mehr, mal weniger hasst; dem seine Freunde wichtig sind; deraber blöderweise Krebs hat und deswegen in diese nervtötende Selbsthilfegruppe muss. Dort lernt sie Augustus kennen, ebenfalls Krebsopfer, aber zumindest geheilt. Jetzt muss der ehemalige Basketballstar den Verlust seines Unterschenkels verarbeiten - und legt dabei einen erfrischenden Sarkasmus an den Tag, den Hazel schon lange vermisst in ihrem Leben. Schon bald werden die beiden Freunde, dann auch ein Paar - und schließlich brechen sie auf nach Amsterdam, wo Hazel ihren Lieblingsautor kennenlernen soll. Eine Reise, an derem Ende nichts so ist, wie man denkt ...

Ich will nicht spoilern, jedes Wort, dass ich hier amchen könnte, würde dem Leser diese Wucht nehmen, mit der John Green ihn am Ende gegen eine Wand rennen lässt, die den deutschen Titel (den ich ausnahmsnweise fast gelungener finde als den Originaltitel) so treffend vor Augen führt. Das Schicksal ist beschissen und auch mit ein bisschen Glück dazwischen, gibt es die Moment des Heulen und Zähneknirschen, bei denen man weiß, dass danach eben nicht wieder alles gut sein wird. Krebst wird sich nicht plötzlich in Nichts auflösen, nur weil man die große Liebe trifft. Der Tod gibt keine Nachspielzeit, nur weil man noch was vorhätte. Und trotz dieses bitteren Wissens, das Hazel und Gus mit sich tragen müssen, führen sie trotzdem ein normales Leben mit allen Höhen und Tiefen des Teenagerdaseins.

John Green ist es gelungen, ein Krebsbuch zu schreiben, das ehrlich ist. Das die furchtbaren Tage genauso beinhaltet wie die guten. Das zynisch ist, witzig ist, liebevoll ist, realitätsnah ist. Bei dem ich als Leser mich sofort mit den Figuren identifiziere und bei denen ich jedes gesprochene Wort für glaubwürdig halte. Bei dem mir die Figuren ans Herz wachsen in ihrer Alltäglichkeit und ihrer Ausnahme. Ich habe mitgelitten, mitgebangt, mitgehofft und mich mitgeärgert - ich war für einige Stunden ganz tief drin. Und dann hatte ich die Möglichkeit, heulend wieder in meinen Alltag zurückzugelangen und mir zumindest dort Hoffnung zu machen, dass es doch noch eine Parallelwelt gibt, in der Happy Ends möglich sind. Es möge so sein!