Donnerstag, 27. August 2015

[Buchgedanken] Jakob Wassermann - Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens

Kaspar Hauser, der berühmte Findling. Seit seinem Auftauchen im Jahr 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz ist er, wie sein Grabstein verkündet, ein Rätsel der Menschen. Um die 16 Jahre alt, kaum fähig zu sprechen und zu gehen, erzählt er schließlich eine haarstäubende Geschichte - jahrelang soll er in einem dunklen Raum eingesperrt gewesen sein, keinen Kontakt zu Außenwelt gehabt haben. Schon bald kommen in Nürnberg die ersten Gerüchte auf. Kann es sein, dass hinter Kaspars Leben eine Verschwörung im badischen Königshaus steckt, dass er der wahre Thronerbe ist? Seine Unterstützer und seine Gegner liefern sich Schlachten, als Kaspar schließlich nach Ansbach zieht und beginnt, unter der Aufsicht Ludwig von Feuerbachs ein normales Leben zu führen, scheint es schon fast zu spät. Wie kann ein Wunder in die Normalität finden, vor allem, wenn es von allen Seiten misstrauisch betrachtet werden ...

Manche Bücher liegen bei mir jahrelang herum und dann lese ich sie, weil einfach nichts anderes da ist. So war es auch mit "Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens", das so ziemlich ganz vorne in der Liste meines ebooks steckt. Nach meinem ersten Ausflug in die Klassiker dieses Jahr dachte ich, ich probiere es jetzt - und habe das Buch förmlich eingesogen. Das liegt vor allem an der Sprache Wassermanns. Einerseits ausschweifend und geschraubt wirkt sie auch mich als Leser dennoch nicht im mindestens erschreckend oder einschüchternd. Sie bleibt trotz Bandwurmsätzen und des altertümlichen Sprachduktus sehr verständlich und zieht mich in den Text. Denn das Buch ist nicht einfach eine Nacherzählung eines Falls. Zwar ist Wassermann in seiner Autorenseicht sehr auf die Erbprinzentheorie festgelegt, doch geht es bei ihm vor allem auch um die Gesellschaft, in der sich Hauser bewegt. In Nürnberg ist es vor allem die Unterstützergruppe, die ihm nahezu jedes Wort glaubt und ihn zu einem Wunder der Menschheit aufbaut. In Ansbach dagegen sind es die Kritiker und Zweifler, denen wir auf ihren Wegen folgen. Dabei sind sie, wie etwa der Lehrer Quandt, so überzeichnet in ihrer Ablehnung und gleichzeitig so realistisch, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. So wie Quandt reagieren viele Menschen, die um jeden Preis ihre Meinung bewiesen haben wollen - da wird ein jedes Verhalten negativ ausgelegt. Die wenigen Freunde Caspars sorgen eher dafür, dass er in seiner Sonderstellung so gefestigt wird, dass es kaum anders möglich ist für ihn, als sich in einem normalen Leben zu langweilen. Diese Gesellschaftsanalyse fand ich ungeheuer spannend und hat für mich das Buch zu einem diesjährigen Highlight gemacht.

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