Mittwoch, 18. Januar 2017

[Buchgedanken] Italo Calvino - Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender eine Buchhandlung betritt und nach dem neuen Roman von Italo Calvino fragt, dann kann er allerhand erleben. Er kauft das Buch und merkt beim Lesen, dass sich die Handlung an der spannendsten Stelle wiederholt. Auch hat die Buchbinderei versehentlich Druckbogen eines anderen Buches mit hineingebunden. Also kauft er das neue Buch und schon ist er mittendrin in einem brillanten Verwirrspiel, bei dem er von einer Geschichte in die nächste gerät, immer auf der Suche nach dem neuen Roman von Italo Calvino ...

Ich hatte seit Jahren Angst vor diesem Roman. Angst, weil mir mehrere Leute, die ihn angefangen hatten, versichert haben, dass es sich hier um das wohl furchtbarste Buch alles Zeiten handelt, allein schon weil man permanent irgendwelche Anfänge um die Ohren gehauen bekommt, ohne wirklich eine Auflösung zu bekommen. Und ja, mit diesem Wissen steht so ein Buch einfach jahrelang im Regal. Bis ich dann meinen Freund bitte, mir ein beliebiges Buch auszuwählen und er genau damit ankommt. Na, das kann ja was werden!

Und dann schlage ich die erste Seite auf und bin überrascht. Ja, der Stil ist ungewöhnlich - denn es ist konsequent in "Du"-Form geschrieben, der Autor (ist es wirklich der Autor oder ist es unser Konstrukt vom Autor, der sich als Ich-Erzähler tarnt?) spricht den Leser an und statt als Beoachter bin ich quasi Teil der Handlung und erlebe diese Geschichte in der Geschichte am eigenen Leib. Meine Leseerwartungen werden erstmals auf den Kopf gestellt und ich frage mich, ob das wirklich ein so furchtbares Buch sein kann.

Beim Weiterlesen fängt mein Gehirn an, langsam Knoten zu bilden. Es ist nie ganz klar, ob es sich bei den erlesenen Geschichten um Nacherzählungen handelt oder um Originaltexte, die Grenzen zwischen Fiktion, Metaebene und Realität, die wir als Leser gewont sind, verschwimmen hier vollkommen. Wer nach dem Buch immer noch meint, ein Ich-Erzähler wäre eine simple Erzählstruktur, sollte in sich gehen.

Und auch wenn das jetzt hochkomplex und literarisch anspruchsvoll klingt, gelingt Calvino das Meisterstück, das ganze so kurzweilig zu erzählen, dass man ihm immer weiter folgt in dieses literarische Labyrinth. Je mehr man über Fragmente, Bruchstücke, Versatzstücke und Auszüge stolpert, desto mehr bedauert man, dass man nicht weiterlesen kann, desto mehr will man genauso wie das anonyme Du endlich wissen, was geschehen wird. Ich wette, jeder wird einen Roman finden, den er sich weiterspinnen möchte, denn Calvino bietet alles, vom Spionageroman bis zum amerikanischen College-Roman, ein Potpurri der postmodernen Literatur, die in ihrer jeweils eigenen Sprachweise erzählt werden.

Lasst euch also von der Postmoderne nicht unterkriegen. Wenn sie so ist, wie Calvino schreibt, dann umarmt sie und heißt sie im Bücherregal willkommen. Verdient hat sie es mit diesem Roman allemal. 

[Rezensionsexemplar] Jóanes Nielsen - Die Erinnerungen

Eigil Tvibur ist auf den Färöern aufgewachsen, in einem Holzhäuschen am eisblauen Fjord, inmitten von Fischern und Walfängern. Begleitet vom Schrei der Möwen, den Duft von getrocknetem Tang in der Nase, die schmalen Schafspfade entlang der steilen Klippen vor Augen. Schon seine Vorfahren hatten hier gelebt. Doch wie diese ist er immer ein Außenseiter geblieben. Liegt es daran, dass er sich vor dreißig Jahren auf den Friedhof geschlichen und einen unverzeihlichen Fehler begangen hat? Oder hat es mit seiner Familiengeschichte zu tun? Eigil beginnt nachzuforschen …

Ich gebe zu, ich hatte mir das Buch als Rezensionsexemplar gewünscht, weil es auf den Faröer Inseln spielt und das für mich faszinierend klang. Auch hatte der Klappentext so einen gewissen literarischen Anspruch, ich habe mich da in der Sprache verloren. Alles in allem klang es also nach einem Buch, das mich fordern würde, das aber viel Lesegenuss versprach.

Als ich dann das Buch aufgeschlagen habe, bin ich um ein Haar komplett gescheitert (tatsächlich habe ich etwa vier Monate dran gelesen und hatte zwischenzeitlich immer wieder das Bedürfnis, es abzubrechen). Das fing an mit den Namen, die ich wirklich nur mühsam ausenanderhalten konnte, und ging weiter mit den ständigen Wechseln zwischen Geschichte, historischen Fakten und Auszügen aus irgendwelchen anderen literarischen und nichtfiktionalen Werken, bei denen ich nie genau wusste, was davon jetzt wirkliche Quelle ist und was nicht. Für meine empfindsame Historikerseele ist das eine Art Super-GAU ;-) Auch war mir der Stil, der im Klappentext noch ansprechend wirkt, ausgebreitet auf einen ganzen Roman streckenweise einfach zuviel des Guten, ich konnte nicht mehr folgen. Der Gedanke "Schwafel doch mal nicht so" kehrte immer wieder zurück. Ich habe mich dennoch durchgebissen, weil mich die Geschichte an sich ja durchaus interessiert hat, aber das Buch war einfach kein Lesevergnügen. Vielleicht war es der falsche Zeitpunkt, vielleicht war ich der falsche Leser, aber wirklich empfehlen würde ich das Buch nicht. 

[Rezensionsexemplar] Miranda Richmond Mouillot - Anna und Armand

1948, nachdem sie gemeinsam den Zweiten Weltkrieg überlebt haben, kaufen Anna und Armand – die Großeltern der Autorin – ein altes Steinhaus in einem abgelegenen, malerischen Dorf in Südfrankreich. Fünf Jahre später packt Anna ihre Sachen und verlässt Armand. Die Schreibmaschine und die Kinder nimmt sie mit. Abgesehen von einer kurzen Begegnung, haben die beiden nie mehr miteinander gesprochen, nie neu geheiratet oder irgendjemandem offenbart, was sie so unwiederbringlich entzweit hat ...

Als ich mir das Buch über das Bloggerportal als Rezensionsexemplar geholt habe, hatte ich mich auf einen der typischen "düstere Geheimnisse der Vergangenheit werfen ihre Schatten in die Gegenwart"-Romane gefasst gemacht, die ich ja durchaus gerne lese. Irgendwie war es an mir vorbei gegangen, dass es sich hier um die tatsächliche Geschichte der Autorin bzw. ihrer Großeltern handelt und das Buch dementsprechend eher einen Erfahrungsbericht darstellt. Genau das war es aber, was mir das Lesen einerseits erleichtert, andererseits erschwert hat.

Leicht zu lesen war es nicht nur, weil dem Buch eine umfangreiche Tabelle beiliegt, wann Anna und Armand jeweils wo waren, sondern auch, weil ich quasi als Zeuge der Dokumentation der Autorin folge. Das ganze ist gut geschrieben und streckenweise auch sehr schön erzählt, hält mich als Leser bei der Stange und dieFiguren wachsen mir auch deshalb sehr ans Herz, weil sie sehr realistisch sind (na klar, sie sind ja auch lebende Personen) und ihre Handlungen eben mitunter auch seltsam oder nicht nachvollziehbar wirken, weil sie eben keiner ausgedachten Handlungslinie folgen müssen.

Was mir dann jedoch das Buch schwer gemacht hat - so schwer, dass ich zwischendrin mal zwei Wochen Pause gemacht und es fast vergessen habe - waren diese "Selbstfindungspassagen" der Autorin, in denen sie reist, die Liebe findet und bla bla bla. Das war für mich leider ein bisschen mehr Therapiesitzung als Roman und hätte ich einfach nicht gebraucht. Klar, Anna und Armands Geschichte ist quasi der Auslöser für die Autorin und Veränderungen in ihrem Leben und Denken, aber mich persönlich hätte es mehr angesprochen, hätte sie sich einzig auf die Vergangenheit konzentriert und das als Roman erzählt.

Kann ich das Buch trotzdem empfehlen? Ja, durchaus. Es ist interessant und größtenteils gut geschrieben, mit einigen Abstrichen also ein wirklich gelungenes Buch. :-)

Mittwoch, 11. Januar 2017

[Buchgedanken] Katherine Webb - The English Girl

Seit ihr Vater ihr als Kind die Märchen aus 1001 Nacht vorgelesen hat, hat Joan Seabrook einen Traum: sie will selbst die Wüste sehen. 1958 hat sie endlich Gelegenheit dazu, als sie gemeinsam mit ihrem Verlobten Rory in den Oman reist. Dort will sie ihr Kindheitsidol treffen, die Forscherin Maud Vickery, die Anfang des 20.Jahrhunderts als erste Frau die Wüste durchquert hat. Leider geschlagen von ihrem großen Konkurrenten und Kindheitsfreund Nathan. Die beiden Frauen beginnen, sich anzufreunden, und schon bald lässt sich Joan von Maud für eine Gefälligkeit einspannen, nichts Großes, nur ein Besuch im Gefängnis - doch Maud spinnt Pläne, die Joan nicht ahnen kann ...

Wow, ein Buch, das im Oman spielt - was für ein Start in meine diesjähre literarische Weltreise. Die Beschreibungen des Settings gelingt Katherine Webb wirklich gut, fernab der üblichen Klischees vom Orient. Da hätte ich gerne noch mehr gelesen. Auch die Grundidee der Geschichte war für mich gut gewählt, die Rückblenden in Mauds Kindheit und Entdeckerjahre haben mir gefallen. Aber, und da kommt jetzt das große Aber, das ich bei Katherine Webb immer wieder habe, das Buch war einfach so unglaublich vorhersehbar. Ich hatte so ziemlich ab Sekunde eins genau den richtigen Riecher in Bezug auf die zwei großen Geheimnisse des Buchs und habe dementsprechend über Mauds Naivität ein wenig die Augen verdrehen müssen. Also ehrlich ... die Darstellung dieser jungen Frau fand ich jetzt nicht grade erfrischend, sondern sehr klischeehaft. Die junge Maud hat mir streckenweise sehr gut gefallen, allerdings war dann ihr Verhalten als alte Frau auch sehr melodramatisch. Beide sind für mich niht wirklich tolle Figuren, mir fehlen ein wenig die Ecken und Kanten.

Insgesamt ist es ein netter Roman gewesen mit schönen Schilderungen der Wüste, dessen Charakterzeichnung aber nur knapp über einem Rosamunde-Pilcher-Roman liegt. Man muss jetzt nicht darauf brennen, die deutsche Übersetzung zu bekommen, das Taschenbuch ausleihen tut es völlig.

[Rezensionsexemplar] Gill Rapeley/Tracey Murkett - Baby-led Weaning. Das Grundlagenbuch

Babys können so einfach ernährt werden. Mund auf, Brust rein. Dumm nur, dass sie irgendwann eben doch lernen müssen, dass man nicht nur Milch zu sich nehmen sollte, sondern auch andere Nährstoffe benötigt. Normalerweise funktioniert das auf die gute, alte Karottengläschen-Methode - und wer, wie ich, die Weisheitszähne gleich auf einen Schlag gezogen bekommen hat, musste als Erwachsener schmerzhaft lernen, dass diese Karottngläschen echt abartig schmecken.

In England gibt es seit einigen Jahren eine Bewegung, die anders vorgeht. BLW, so die Abkürzung, führt Beikost auf eine Methode ein, die von vielen als deutlich stressfreier beschrieben wird. Wenn das Baby etwa ein halbes Jahr ist, sitzt es mit am Tisch und es wird einfach mal geschaut, ob es sich für Essen interessiert. Und wenn es das tut: bedien dich, Baby. Keine Gläschen oder selbstgemachtes Pürree, stattdessen darf das Baby nach Herzenslust matschen, spielen, eventuell sogar essen. Und lernt auf diese Weise, dass Essen völlig verschieden sein kann, dass es ein Gemeinschaftserlebnis ist und dass es verdammt lecker schmeckt. Kann es wirklich so einfach sein?

Ja, sagen die beiden Autorinnen, die sowas wie die graue Eminenz des BLW sind. In diesem Buch geben sie für interessierte Eltern eine Einführung in die wichtigsten Fragen: was ist BLW, wie funktioniert das eigentlich und worauf muss man achten? Da das Thema bei uns in einigen wenigen (was, wirklich schon???) Monaten ansteht, habe ich die Chance genutzt, ein Rezensionsexemplar zu erhalten. Was mir am Buch sehr positiv aufgefallen ist: die Autorinnen stehen wirklich hinter dem Konzept und man merkt ihre Begeisterung. Selbst ich, die ich eher zur Kategorie "boah, nee, Babysabber" gehöre, habe nach der Lektüre kaum Panik vor eingesauten Tischen, Böden und Babys. Mir hat dabei geholfen, dass in der Mitte etliche farbige Bilder waren, die Kinder beim BLW gezeigt haben, und keins davon gehörte in diese für mich doch etwas abstoßende "sich in Essen wälzen"-Kategorie, die einem bei facebook mitunter begegnen. Auch die Zitate und Erfahrungsberichte von praktizierenden Eltern waren nett eingeschoben und haben das Buch sehr flüssig zu lesen gemacht.

Zusätzlich erhält man Informationen über die richtige Nahrungszusammensetzung für Babys und eine kurze Erklärung der wichtigsten Nahrungsmittelgruppen. Das Buch ist ingesamt sehr kompakt und liest sich wirklich extrem schnell. Und wenn man nochmal was nachschlagen will, ist durch die Kapitelabschlüsse, in der noch einmal alle behandelten Fragen knapp beantwortet werden, schnell gefunden, was einen aktuell interessiert.

Zwei kleine Kritikpunkte habe ich allerdings. Zum einen war das Buch für meinen Geschmack dann doch recht redundant, erst geht es um ein Thema, dann kommt noch ein Erfahrungsbericht mit denselben Themen, dann noch einmal die Abschlussfragen - gelegentlich hätte man echt kürzen können. Was mir aber vor allem gefehlt hat, war die Frage, wie man BLW mit einer allmählichen Mutermilchentwöhnung/Flaschenfütterung kombiniert. BLW bedeutet nämlich, deutlich länger zu stillen und grade dann, wenn es Zähnchen gibt, ist Stillen eben doch nicht für jede Frau die Erfüllung. da hätte ich mir ein wenig genauere Informationen gewünscht, andererseits betrifft das vielleicht auch eher allgemeine Stillliteratur und nicht BLW.

Insgesamt empfehle ich interessierten Eltern, mal in das Buch reinzuschauen. Man bekommt viel Input und eins schaffen die Autorinnen auf jeden Fall: Lust auf das Experiment BLW zu machen.

[In eigener Sache] Neues Jahr, neues Glück

Das letzte Jahr hat mich ganz schön überrollt,muss ich sagen. Irgendwie war es plötzlich vorbei und ich hatte noch nicht einmal die Chance, einen wirklichen Jahresabschluss zu machen oder meine Challenges vernünftig zu Ende zu führen. Aber das macht nichts, denn schließlich hat 2016 einige Sachen für mich bereit gehalten, die wichtiger waren als Bücher ...

Zuallererst natürlich mein Umzug - inzwischen habe ich mich ganz gut eingelebt und versuche jetzt, den Schritt zu wagen, neue Bekanntschaften zu schließen. Das wird eine Herausforderung, war aber auch mein Neujahrsvorsatz.
Viel wichtiger aber ist der Mann, der zur Zeit mein Herz im Sturm erobert und seit September einen Großteil meiner Zeit verschlingt und mir die größten Augenringe beschert. Dank ihm bin ich sogar an meinem Leseziel gescheitert und es war mir zu dem Zeitpunkt (fast vollständig) egal. Leider frisst so ein Baby wirklich enorm viel Energie und Zeit. Dementsprechend wird sich hier im Blog einiges im Jahr 2017 ändern und neu sortieren müssen. Ich werde in jedem Fall weiterbloggen, aber ich muss mir neue Strukturen schaffen. Mal eben so zwischendrin eine Rezension raushauen, wie ich es bisher gemacht habe, kann zur Zeit eher geknickt werden, aber warum nicht mein schickes neues Notizbuch mal dazu nutzen, wirklich feste Blogtermine zu vereinbaren? Im Moment peile ich mittwochs und samstags an, diese Abende nutze ich dann aber auch mal bewusst. Und wenn ich Zeit zum lesen finden sollte, dann gibt es sogar nicht nur Rezensionen, die ich nachholen muss, sondern auch Einblicke in meine ganz aktuellen Lektürelisten.

Also, auf in ein neues Jahr. Es wird spannend, es wir anders, es wird ... 2017.